© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/12 30. November 2012

Aufstand der Kommunen
Asylbewerber: Der wachsende Flüchtlingsstrom sorgt für Steit um Kosten
Paul Leonhard

Deutschland erscheint vielen Menschen auf dem Balkan als das geeignete Land, um zu überwintern. Zumal sie für den Aufenthalt nicht bezahlen müssen, sondern dieser (und unter Umständen auch die Rückreise) vom deutschen Steuerzahler finanziert wird. In Serbien und Mazedonien werde mit Flugblättern für die Einreise nach Deutschland geworben, sagt Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Offenbar stecken dahinter Schlepperorganisationen.

Die Zahlen sind eindeutig: 2.700 Menschen aus Serbien und 1.300 aus Mazedonien haben im Oktober einen Asylantrag gestellt, fünfzig Prozent mehr als im September. Serben machten mit 6.829 Personen fast zehn Prozent der von Januar bis Oktober gestellten Asylanträge aus. Für diesen Monat rechnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit einem weiteren Anstieg. Dazu kommen Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Indien, Iran, Irak und Afrika.

Verteilt werden die Flüchtlinge nach dem „Königsteiner Schlüssel“. Dieser wird entsprechend den Steuereinnahmen und der Bevölkerungszahl der Länder festgelegt. Nordrhein-Westfalen muß danach 21,4 Prozent der Asylbewerber aufnehmen, Bayern 15,2, Mecklenburg-Vorpommen 2,1 und Bremen 0,9 Prozent. Die zentralen Aufnahmestellen sind längst überlaufen. Deutschlandweit werden händeringend Gebäude und Wohnungen für die Unterzubringenden gesucht. In Nordrhein-Westfalen rechnet man mit 1.900 Menschen, die dem Land monatlich zugewiesen werden und die auf die Kommunen verteilt werden.

In Dresden wird ein altes Herbergsschiff als Notunterkunft für 54 Personen flottgemacht, in Leithe die ehemalige Hollandschule. Im niedersächsischen Weyhe im Landkreis Diepholz freute sich Udo Petersohn vom Fachbereich Ordnung und Soziales: „Es sind gerade einige gemeindeeigene Wohnungen frei geworden, die wahrscheinlich für Asylbewerber freigegeben werden.“ Der Weser-Kurier meldet: „In der Gemeinde Stuhr sieht man sich mit Unterkünften noch in der Lage, die Anforderungen zu erfüllen.“ In der Kreisverwaltung von Neuwied in Rheinland-Pfalz bieten Eigentümer leerstehende Wohnungen an. Besitzer schlecht ausgelasteter Hotels melden sich. Der Eigentümer des Hotels „Stadt Dresden“ im sächsischen Großenhain mußte nicht einmal soviel Initiative zeigen. Dort riefen Mitarbeiter des Landratsamtes persönlich an. Jetzt ist das Haus für jährlich 66.000 Euro plus Nebenkosten an den Landkreis vermietet. Die nächsten zwei Jahre soll es als Asylbewerberheim dienen.

Für Schlagzeilen sorgte der Berliner Sozialsenator Mario Czaja (CDU), als er einzelnen Stadtteilen mit der Beschlagnahme von Gebäuden drohte, falls diese nicht schnellstens Unterkünfte für jeweils 400 bis 500 Flüchtlinge bereitstellen. In Brandenburg sperren sich die Landkreise Teltow-Fläming, Märkisch-Oderland und Potsdam-Mittelmark gegen die Aufnahme weiterer Asylbewerber und zogen sich den Zorn der Landespolitiker zu.

Auch streiten Landes- und Kommunalpolitiker über die Finanzierung. Insbesondere seit das Bundesverfassungsgericht im Juli entschied, daß die Sätze für Asylbewerber denen von Hartz-IV- und Sozialhilfeempfängern anzugleichen sind. Danach erhält ein alleinstehender Flüchtling jetzt statt 224 monatlich 346 Euro. Zahlen müssen die Kommunen. In Hessen betragen die zusätzlichen Kosten jährlich etwa zehn Millionen Euro. Frankfurt am Main werde rund 964.000 Euro mehr aufbringen müssen, hat der Geschäftsführer des Hessischen Städtetags, Jürgen Dieter, überschlagen. Im vergangenen Jahr gab die Stadt 5,7 Millionen Euro für Asylbewerber aus, lediglich 660.000 Euro schoß Hessen zu.

In Sachsen fordert die migrationspolitische Sprecherin der Grünen, Elke Hermann, eine Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes, das lediglich eine Erstattung von 1.125 Euro pro Person und Quartal vorsieht. Diese Pauschale schließt die Kosten für Unterkunft, Nahrungsmittel, Kleidung, Gesundheitsfürsorge und psychosoziale Betreuung ein und reiche bei weitem nicht, so Hermann.

Um die soziale Sprengkraft der Diskussion wissend, verlangt Städtebundchef Landsberg nicht nur die Beibehaltung der Residenzpflicht sowie die Wiedereinführung der Visapflicht für die Balkanländer, sondern auch eine deutliche Beschleunigung der Asylverfahren. Diese sollten „innerhalb von drei Wochen durch eine verbindliche Entscheidung abgeschlossen sein“.

Die Flüchtlinge aus dem Balkan haben keine reale Chance auf Anerkennung als Asylberechtigte. Ohnehin wurden von im Oktober überprüften 6.209 Asylbewerbern lediglich 505 als Flüchtlinge anerkannt, darunter kein einziger Serbe oder Mazedonier. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) spricht offen von „Asylmißbrauch“ und fordert von der Europäischen Union, die Visafreiheit für diese Länder schnellstmöglich auszusetzen.

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