© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/12 07. Dezmber 2012

Man hat’s doch gewußt
Grenzkriminalität: Vor den Mißständen haben Politiker lange die Augen verschlossen
Paul Leonhard

Die Grenzkriminalität ist ein Dauerthema, seit das Schengen-Abkommen 2007 auf Osteuropa ausgedehnt wurde. Seitdem veröffentlichen Politiker in regelmäßigem Abstand Statistiken, die beweisen sollen, daß die Kriminalität zurückgegangen, stagniert oder in andere Gegenden abgedrängt worden sei. Die täglichen Polizeimeldungen in den Lokalzeitungen sprechen eine andere Sprache. An ihnen läßt sich sowohl ablesen, wann der Kupferpreis angestiegen ist, als auch welche Ausführung eines speziellen Autos gerade irgendwo in Osteuropa geordert wurde. Mitunter sind es lediglich Armaturen, die benötigt werden und rasch aus Autos ausgebaut und über die Grenze gebracht werden.

Bildeten bis 2007 die Brücken über Oder und Neiße ein Nadelöhr, auf dem bequem der Verkehr kontrolliert werden konnte, muß sich die Bundespolizei nun auf die Autobahnen konzentrieren. Leidtragende sind insbesondere die Bürger der nun unbewachten Grenzstädte Frankfurt/Oder, Guben, Forst, Görlitz und Zittau.

Von den Politikern, die Schengen zu verantworten haben, lebt keiner im Grenzgebiet. Keiner von ihnen will sich in die Situation von Menschen hineinversetzen, die abends ihr Haus nicht mehr verlassen, weil sie Angst haben, es ausgeplündert vorzufinden. Bauern lassen ihre teure Technik nachts nicht mehr auf den Feldern stehen. Unternehmer investieren statt in die Produktionsanlagen in Sicherheitstechnik. Die Bürger müßten ihr Eigentum einfach besser schützen, fordern jene Politiker, die die Grenze geöffnet haben und kein Mittel gegen die international agierenden Diebesbanden wissen. Sie raten zu Sicherheitszäunen um private Grundstücke, Überwachungskameras oder zur Anschaffung eines scharfen Wachhundes.

Eine Paß- oder Fahrzeugkontrolle ist noch keine Einschränkung der Reisefreiheit, wohl aber eine Gelegenheit, „schwarze Schafe“ dingfest zu machen. Dennoch will kaum einer der Grenzlandbewohner die permanenten Kontrollen zurück. Was sie aber fordern, ist ein Ende des Stellenabbaus bei der Polizei und eine auf die Erfordernisse eines Einsatzes im Grenzgebiet ausgerichtete Ausbildung der Beamten. Da bedeutet in erster Linie sprachliche Schulung. Es gibt nur wenige deutsche Polizisten, die die polnische, tschechische oder wenigstens englische Sprache gut genug beherrschen, um sich mit ihren Kollegen im Nachbarland exakt und schnell austauschen zu können. In Polen und Tschechien hapert es ebenso mit den Fremdsprachen.

Zu dieser Sprachlosigkeit kommen die mangelhafte Funkausstattung und die schlechten Handyverbindungen im Grenzgebiet, wo sich deutsche, tschechische und polnische Netze überlagern. Ähnlich sieht es bei den Staatsanwaltschaften, in den Landratsämtern und den Rathäusern aus. Überall wird Schengen lediglich theoretisch als wichtiger Schritt zum geeinten Europa gefeiert, vielerorts kennt man jedoch nicht einmal die Telefonnummer des Bereitschaftsdienstes jenseits der Grenze, geschweige denn den Kollegen persönlich.

Zu lange haben Bundespolitiker die Augen vor den zu erwartenden Problemen der Schengen-Osterweiterung verschlossen. So versicherte der frühere Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble einst, daß sich die „Sorgen der Menschen im grenznahen Bereich“ nicht bewahrheitet hätten. Jeder Dorfpolizist wußte es besser.

Die lange überfälligen bilateralen Abkommen über einen möglichen grenzüberschreitenden Einsatz der Polizei, aber auch von Feuerwehr und Rettungsdiensten sind noch kein Jahr alt. Es sind die kleinen Schritte, an denen sich eine mögliche Lösung des Problems ablesen läßt. Bei ihren Kontrollen auf den Autobahnen entdeckten die Bundespolizisten zunehmend gestohlene sowie ganz oder teilweise aus gestohlenen Fahrzeugen zusammengebaute Autos. Auch wenn der damit angehaltene Fahrer das Auto zumeist legal in Osteuropa gekauft hat, wird es eingezogen. Das dürfte für viel Verdruß sorgen und abschrecken. Moderne Kommunikation und viel persönliche Erfahrung des Beamten machen es möglich, daß kurz vor den Grenzbrücken an Oder und Neiße Autos gestoppt werden, die erst Stunden zuvor in Westdeutschland oder dem Elsaß gestohlen wurden. Oft hat der Eigentümer zu diesem Zeitpunkt den Verlust noch gar nicht bemerkt.

Diese Erfolge bringen aber noch keinen einzigen Dieb hinter Schloß und Riegel. Es fällt deutschen Richtern viel schwerer als polnischen, einen Tatverdächtigen schuldig zu sprechen. Kontinuität und Verläßlichkeit wäre das, was für Sicherheit an der Grenze sorgen könnte. Beamte, die im Grenzgebiet mit ihren Familien leben, sind höher motiviert – auch was das Erlernen der Sprache des Nachbarn betrifft – als Polizisten, die ständig versetzt werden. Auch die Polen und Tschechen legen viel Wert darauf, auf lange Zeit einen festen Ansprechpartner zu haben, zu dem sie Vertrauen aufbauen können.

Binationale Streifen und gemeinsame Fahndungsgruppen sind erste Schritte in die richtige Richtung. Am Ende müßten aber kleine, trinational agierende mobile Fahndungsgruppen stehen, die durch ebenso trinationale Staatsanwaltschaften unterstützt werden. Bei sogenannten Bagatellstraftaten wie Ladendiebstählen sollte die Strafe auf dem Fuße folgen und die Strafverfolgung in Polen beziehungsweise bei den Tschechen erfolgen. Dort setzt man gerade im Fall von Kleinkriminellen auf Abschreckung – nicht ohne Erfolg.

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