© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/12 07. Dezmber 2012

„Die Verfassung wird mit Füßen getreten“
Asylbewerber: Angesichts steigender Flüchtlingszahlen streiten Regierung und Opposition über Geld- und Sachleistungen
Ekkehard Schultz

Die seit Monaten steigende Zahl von Asylbewerbern vor allem aus Südosteuropa hat das Parlament erreicht. In der vergangenen Woche debattierte der Bundestag über verschiedene Anträge der Oppositionsparteien zum Asylbewerberleistungsrecht.

Die Grünen und die Linksfraktion wollen das Gesetz, das seit 1993 regelt, welche Leistungen die Asylbewerber vom Staat erhalten, gleich ganz abschaffen. Beide Anträge, die unter anderem eine komplette Angleichung der Leistungen an die Höhe der Auszahlungen an Sozialhilfe- sowie Hartz-IV-Empfänger vorsahen, wurden jedoch sowohl von der schwarz-gelben Regierungskoalition als auch der SPD abgelehnt.

Schon seit vielen Jahren ist der 1992 geschlossene Asylkompromiß insbesondere linken Vereinen und Organisationen ein Dorn im Auge. Damals, als allein die Zahl der Neuanträge bei über 430.000 lag, wurde als Reaktion auf die massiv angewachsenden Asylanträge nicht nur das Grundgesetz geändert und das Asylverfahrensgesetz reformiert, sondern auch das im Jahr darauf in Kraft getretene Asylbewerberleistungsgesetz beschlossen. Neben einer neuen Definition der Anspruchsberechtigten wurden darin unter anderem die Residenzpflicht und der Bezug von Sachleistungen geregelt. Diese damals ebenfalls von einer schwarz-gelben Koalition und der SPD beschlossenen Gesetze beziehungsweise Reformen werden seither von Lobbyorganisationen wie „Pro Asyl“ und der Antonio-Amadeu-Stiftung regelmäßig als „institutioneller Rassismus“ bekämpft.

Statt der Abschaffung des Leistungsgesetzes wird es nunmehr eine Reform der bestehenden Regelung geben, die in Kürze von der Regierungskoalition vorgelegt werden soll. Ein zwingender Handlungsbedarf besteht dabei schon deswegen, weil im Juli 2012 das Bundesverfassungsgericht die bisherigen Regelsätze, die seit 1993 nicht mehr geändert wurden, für verfassungswidrig erklärt hatte. So wird der Satz für einen alleinstehenden Erwachsenen von bislang 225 Euro auf 336 Euro steigen, Kindern bis zum sechsten Geburtstag stehen künftig 202 Euro zu. Damit liegen diese Leistungen nur noch knapp unter dem Hartz-IV-Niveau. Der Bargeldanteil wird von 40,90 Euro pro Monat auf 134 Euro steigen. Zudem sollen Kinder und Jugendliche aus Flüchtlingsfamilien wie Hartz-IV-Empfänger vom Bildungspaket profitieren.

Da es bereits unmittelbar nach der Karlsruher Entscheidung zu einer deutlichen Zunahme der Flüchtlingszahlen aus Serbien und Mazedonien nach Deutschland gekommen war, schlug Mitte Oktober Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) vor, „strikt Sachleistungen statt Bargeld“ zu verteilen. Zudem kündigte er „Sofortmaßnahmen gegen Asylmißbrauch“ an. So müßten abgelehnte Asylbewerber „schneller abgeschoben“ werden. Eine tatsächliche Neuregelung wurde jedoch bislang noch nicht vorgelegt.

Die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast warf der schwarz-gelben Regierung von Kanzlerin Angela Merkel im Bundestag eine „inhumane Asylpolitik“ vor. „So geht man nicht mit Flüchtlingen um“, kritisierte Künast. Die aus Serbien und Mazedonien einreisenden Sinti und Roma seien „keine Wirtschaftsflüchtlinge“. Es gehe um Menschen, die in ihrer Heimat zum Teil „pogromartigen Ausschreitungen“ ausgesetzt seien.

Die Linkspartei-Abgeordnete Ulla Jelpke sprach von einem Verfassungsbruch, da es Friedrichs Absicht sei, „bestimmte Flüchtlinge durch abschreckende Maßnahmen von der Flucht abzuhalten“. Zudem spiegelten sich in dem Vorschlag, allen Flüchtlingen möglichst nur Sachleistungen zu gewähren, „Abschreckung und Menschenverachtung“ wider. Bereits während der Debatten der frühen neunziger Jahre hätten Asylbewerberheime gebrannt. Schon allein vor diesem Hintergrund fordere die Linkspartei „die Garantie der Menschenwürde für alle“.

Auch die SPD-Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm warf der Regierung vor, „die Verfassung mit Füßen zu treten“, weil sie die Vorgaben der Karlsruher Richter bislang ignoriert hätten. Dagegen verteidigte Peter Tauber (CDU) die Sachleistungen für Flüchtlinge. Bekämen sie mehr Geld, würden sie dies „an Schlepper weiterleiten“, warnte der hessische Abgeordnete. Generell bringe kaum ein Land den Flüchtlingen „mehr Mitgefühl entgegen als Deutschland“. In diesem Zusammenhang verteidigte Tauber auch die Residenzpflicht.

Allerdings gibt es auch innerhalb der Union Abgeordnete, die für eine Lockerung des bisherigen Arbeitsverbots für Asylbewerber eintreten. So nannte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Staatssekretärin Maria Böhmer (CDU), die einjährige Wartezeit „nicht mehr zeitgemäß“. Auch FDP-Sozialpolitiker forderten einen Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylbewerber „bereits ab dem ersten Tag“.

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