© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/12 07. Dezmber 2012

Wenn die Posaunen erklingen
Wie lange noch bis zum Weltuntergang? Nicht nur der Maya-Kalender verheißt die Apokalypse
Wolfgang Kaufmann

Am 21. Dezember dieses Jahres soll unser aller letztes Stündlein schlagen – wieder einmal. Derartige Vorhersagen sind nämlich so alt wie die Menschheit selbst. Schon vor mehreren tausend Jahren kursierten apokalyptische Lehren, und nach der Entstehung des Christentums kam es dann gar zu einer Inflation ständig neuer Endzeittermine: Hätten sämtliche Propheten in Antike, Mittelalter und Neuzeit recht behalten, wäre die Welt zwischen 30 n. Chr. und 1998 schon über achtzigmal untergegangen!

Nicht zu vergessen auch die Hysterie anläßlich des Jahreswechsels von 1999 zu 2000. Allein hierzu gab es über zwei dutzend Ankündigungen finaler Katastrophen seitens verschiedenster Kreise und Personen bis hin zu Sir Isaac Newton und Bewohnern der peruanischen Provinz Piura, welche durch die Geburt eines Entenkükens mit drei Beinen aufgescheucht wurden.

Eine treibende Kraft hinter der Panikmache sind zum einen diejenigen, welche sich davon einen finanziellen Gewinn versprechen. Wann hat ein Händler schon einmal Gelegenheit, dem Verbraucher eine schlichte Dose Tomatensuppe für 28,90 Euro unterzujubeln? Doch nur, wenn er die selbige zum Bestandteil von unverzichtbaren Überlebensrationen deklariert! Das gleiche gilt für primitive Wasserfilter, welche schlappe 1.300 Euro kosten sollen.

Ein besonders cleveres Geschäftsmodell entwickelte die US-Firma Eternal Earth-Bound Pets. Die verspricht allen Ernstes, sich um hinterbliebene Haustiere zu kümmern, die den Weltuntergang überleben – und das für eine günstige Pauschale von lediglich 135 Dollar. Dahingegen werden die bei Ebay angebotenen VIP-Tickets für die Rettungsarche „Morpheus 2“, die am 18. Dezember 2012 in Cape Canaveral starten soll, zumindest noch als Scherzartikel deklariert, was die Versteigerer aber trotzdem nicht daran hindert, Geld für die Karten zu kassieren.

Außerdem sind da all jene Trittbrettfahrer der Apokalypse, welche ebenjene an die Wand malen, um Volksverdummung zu betreiben – mit dem ganzen Rummel rund um die angebliche Prophezeiung der Maya läßt es sich doch prächtig von den tatsächlichen Problemen der Gegenwart ablenken. Wieder andere begnügen sich mit der Gelegenheit, kräftig Aufmerksamkeit zu erregen und Eigenwerbung zu betreiben. So haben die Zeugen Jehovas in der Zeit ihres Bestehens bereits Weltuntergänge für 1874, 1878, 1881, 1914, 1918, 1925, 1975, 1984 und 1994 vorausgesagt und es damit jedesmal in die Medien geschafft. Ganz zu schweigen von diversen Autoren zahlloser Weltuntergangsbücher, die den Anspruch erheben, „Aufklärung“ zu betreiben.

Ansonsten manifestiert sich in dem Glauben an die Richtigkeit der „Weissagung“ der Maya auch ein gerüttelt Maß an impliziter Zivilisationskritik und Sehnsucht nach der heilen Welt früherer Zeiten: Ach ja, die Weisheit des edlen und ökologisch denkenden Naturvolkes der Maya, das der Archäologe Sylvanus Griswold Morley als das „brillanteste Volk auf diesem Planeten“ bezeichnet hat! Aber waren die Maya tatsächlich Idealmenschen? Die Zeugnisse aus ihrer Zeit – Ressourcenvernutzung, Hungersnöte, Überbevölkerung, Kriege – deuten eher auf das Gegenteil hin. Und selbst der den Weltuntergang angeblich vorhersagende Maya-Kalender (JF 52/11-1/12) zeugt nicht gerade von überragender intellektueller Reife (siehe Stichwortkasten unten auf dieser Seite).

Was aber werden die Weltuntergangspropheten nun am 22. Dezember 2012 tun, wenn wieder einmal nichts passiert ist? Hierzu gibt es einige sehr aufschlußreiche wissenschaftliche Studien. So mischten sich die US-amerikanischen Sozialpsychologen Leon Festinger, Henry Riecken und Stanley Schachter 1954 heimlich unter die Jünger der Chicagoer Hausfrau Marian Keech alias Dorothy Martin, welche verkündete, am 21. Dezember selbigen Jahres werde eine große Flutwelle alle Menschen vernichten – ausgenommen diejenigen, die mit ihr gemeinsam von einer Fliegenden Untertasse abgeholt und zum Planeten Clarion ausgeflogen werden.

Als der große Tag endete, ohne daß es zu einer Sintflut beziehungsweise Ufo-Landung gekommen war, reagierten die meisten Sektenmitglieder auf eine Art und Weise, die Festinger zu seiner Theorie von der kognitiven Dissonanz inspirierte, welche er in dem Klassiker „When Prophecy Fails“ darlegte. Statt ihren Irrtum zuzugeben (was eine schonungslose Selbstkritik und Umkehr impliziert hätte), traten die Sektenmitglieder noch fanatischer auf und begannen verstärkt zu missionieren. Das Unbehagen angesichts des Ausbleibens des Vorhergesagten wurde also nicht durch einen Abfall vom Glauben aus der Welt geschafft, sondern dadurch kompensiert, daß man die Tatsache des Scheiterns strikt ignorierte und stattdessen versuchte, weitere Anhänger zu gewinnen, weil deren Zustrom als „Beweis“ dafür gewertet werden konnte, daß die Ideen der Sektierer trotz allem irgendwie richtig sein müssen.

Somit dürften also nach dem 21. Dezember 2012 die Untergangsprophezeiungen der Apokalyptiker eher noch zu- als abnehmen. Dabei sind auch Reaktionen wie die des kalifornischen Predigers Harold Camping zu erwarten: Der sagte bereits 1992 einen Weltuntergang für 1994 voraus, wobei er das konkrete Datum aus der Anzahl der Fische „errechnete“, welche die Jünger Jesu im See Genezareth gefangen hatten. Dem folgten weitere Prophezeiungen für den 21. Mai und 21. September 2011.

Da die Erde aber bekanntlich weder 1994 noch 2011 vernichtet wurde, behauptete Camping hinterher jedesmal, das alles sei Teil eines größeren Planes von Gott: Der Herr habe die Menschen bewußt in die Irre geführt, um sie auf die Probe zu stellen und ihren Hochmut zu brechen!

Flugs ein neues Datum anzusetzen, ist also ebenfalls Teil der Strategie zur Auflösung kognitiver Dissonanzen und damit eine beliebte Praxis in Kreisen gescheiterter Endzeitvisionäre. Dabei werden diese aber nach dem 21. Dezember dieses Jahres in Konkurrenz zu all jenen geraten, welche ohnehin von einem späteren Termin ausgehen.

So behauptet ein gewisser Roland Siegemund, zwischen Mai und September 2013 werde ein großer Meteorit in Sibirien einschlagen und einen katastrophalen Polsprung verursachen. Oder nehmen wir den österreichischen Biophysiker Heinz von Foerster, der 1960 errechnet hatte, daß am Freitag, den 13. November 2026, soviel Menschen auf der Erde leben werden, daß sie sich alle gegenseitig totdrücken!

Ebenso bieten die Anflüge von Asteroiden immer wieder Anlaß, Katastrophenszenarien zu entwickeln. Besonders geeignet hierfür ist der Kleinplanet 99942 namens „Apophis“, der die Erde ebenfalls an einem Freitag, den 13., diesmal aber im April 2029, in kürzester Distanz passieren oder vielleicht auch treffen soll. Computernerds wiederum fürchten sich eher vor dem 19. Januar 2038. An diesem Tag sollen Punkt 3.14 Uhr die Systemzeitzähler aller Computerprogramme aufgrund von Binärcode-Darstellungsproblemen ihren Maximalstand erreichen und kollektiv auf den 13. Dezember 1901 springen, was selbstverständlich irgendwie ganz schlimm sei.

Und so geht das immer weiter: Es gibt praktisch kaum ein Jahr bis 2076 (dem 6000. Jahr seit „Erschaffung der Welt“), in dem nicht nach Meinung einiger „Experten“ die Apokalypse eintreten soll. Ja, selbst für die Zeit danach existieren weitere konkrete Vorhersagen. So behauptete ein Forscherteam des renommierten Massachusetts Institute of Technology schon im Jahre 1972, 2100 werde es zu einem finalen Wachstumskollaps der Menschheit kommen. Und es liegen auch bereits Warnungen vor dem Asteroiden 1999 RQ36 vor, der am 24. September 2182 einschlagen könnte.

Noch ein wenig weiter in die Zukunft blickt der Berliner Archäoastronom Andreas Fuls. Er meint, die Maya hätten den Weltuntergang nicht für 2012, sondern den 6. November 2220 vorhergesagt. Schließlich spielt auch die Atomkriegsgefahr eine Rolle: Wie der Nostradamus-Epigone Jean-Claude Pfändler glaubt, habe der berühmte Seher für das 23. Jahrhundert ein nukleares Inferno angekündigt, nach dem die Erde dann bis zum Jahre 3000 unbewohnbar bleiben werde. Aus dem „Da-Vinci-Code“ wiederum lesen andere „Wissende“ einen Weltuntergangs-termin am 1. November 4006 heraus. Damit ist also schon jetzt für fast jeden Geschmack etwas dabei.

 

Maya-Kalender

Die Maya, eine indianische Völkerfamilie in Mesoamerika (Mexiko, Belize, Guatemala, El Salvador, Honduras), verfügten über ein mehrteiliges, höchst kompliziert konstruiertes Kalendersystem. Der astronomische, heute einfach als Maya-Kalender bekannte Teil weist für den 21. Dezember 2012 eine Zäsur auf. Deswegen fürchten Endzeitvisonäre an diesem Tag den Weltuntergang. Tatsächlich steht der 21. Dezember dieses Jahres lediglich für den Übergang zwischen zwei 394-Jahres-Zyklen der „Langen Zählung“ der Maya-Zeitrechnung, welche Teil sehr viel größerer Zyklen sind wie beispielsweise des Piktun, einer 7.880-Jahres-Periode, oder des Kalabtun, also einem Zeitraum von rund 160.000 Jahren. Letztlich endet das Ganze erst mit dem Alautun, der über 23 Milliarden Tage umfaßt, woraus man unschwer erkennen kann, daß die Maya niemals die Absicht hatten, die Apokalypse für dieses Jahr vorherzusagen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen