© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/12 07. Dezmber 2012

CD: K. Ferrier
Lächeln mit der Stimme
Jens Knorr

Zum hundertsten Geburtstag der englischen Sängerin Kathleen Ferrier am 22. April dieses Jahres hatte die Decca Ferriers sämtliche Aufnahmen für die Firma digital überarbeitet in einer imposanten Edition herausgebracht. Da durfte die Konkurrenz nicht zurückstehen und hat nun ihrerseits sämtliche Aufnahmen zusammengefaßt, welche die Altistin anfangs ihrer kurzen Karriere (sie starb mit zweiundvierzig an Krebs) für die EMI gemacht hat.

Die Kompilation der EMI besteht vor allem aus Raritäten, wie Ferriers erster Aufnahme der Gluckschen Orpheus-Arie „Che farò senza Euridice?“ – hier: „What is life without thee?“ –, Liedern und Arien von Purcell, Greene, Händel und Elgar, Brahms und Mendelssohn sowie zwei Arien und zwei Duetten aus Bachs H-Moll-Messe, begleitet von den Wiener Symphonikern unter Leitung von Herbert von Karajan und mit Elisabeth Schwarzkopf.

Diese waren 1950 eher zufällig entstanden, weil das Equipment im Wiener Musikvereinssaal eigentlich für ein anderes Projekt aufgebaut war und die Techniker eine Probe machen wollten; die andern, betreut von dem legendären Produzenten Walter Legge, um auszutesten, wie das Mikrophon auf die Stimme Ferriers reagieren und diese in der Wiedergabe klingen würde. Der unvereinbaren Temperamente von Sängerin und Produzent wegen entschloß sich Ferrier, zur Decca zu wechseln.

Von den vertrackt einfachen Liedern klingt das feine Lächeln mit der Stimme noch lange im Ohr, dagegen befremdet der statuarische Ton von den barocken Piecen. Sie sind vor aller Kenntnis der oder auch nur ignorant gegen die Grammatik barocker Musik musiziert, mit generalisierendem Klang und ohne alle Auszierung – um es euphemistisch auszudrücken: schnörkellos.

Hauptstück der Edition ist ein Vorstellungsmitschnitt von Glucks „Orfeo ed Euridice“ vom 10. Juli 1951 aus dem Städtischen Theater Amsterdam. Solisten, Chor und Orchester der Nederlandse Opera musizieren grenzwertig, Ferrier aber musiziert noch spannungsvoller und differenzierter als in dem Mitschnitt unter Stiedry von 1947 und treibt die Figur des Orfeo konsequent der großen Arie zu, die sie in kaum überbietbarer Verzweiflungsgeste, und immer auf dem Gesangston, kulminieren läßt. So geht Pathos! 1953 hat sie diese ihre Schicksalsrolle zweimal an Covent Garden gesungen. Am Ende der zweiten Aufführung brach sie zusammen.

Zum Mythos ist Ferrier als Mahler-Interpretin geworden, insbesondere des Alt-Soloparts im „Lied von der Erde“. Die EMI hat keine der überlieferten Aufnahmen zu bieten, wohl aber Ferriers maßstabsetzende Einspielung der „Kindertotenlieder“ mit den Wiener Philharmonikern unter Bruno Walter von 1949, ergänzt durch erstmals veröffentlichte Versionen des ersten und letzten Liedes. Die Möglichkeit, unter Walter ein Werk aufzunehmen, das ihr ein Herzensbedürfnis war, hatte Ferrier – Legge hin, Legge her – 1949 noch einmal „leihweise“ in die Studios der EMI zurückgebracht.

Die Edition mag dem umfassenden Bild, das wir anhand der überlieferten Tondokumente von der Kunst der großen Sängerin gewinnen konnten, wenig hinzufügen. Für ihre Verehrer aber ist auch das Wenige viel.

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