© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/12 07. Dezmber 2012

Rommels Mission durch die Sahara
Im Spätherbst 1942 mußte die bis in den Tschad führende Wehrmachts-Erkundungsoperation „Dora“ abgebrochen werden
Wolfgang Kaufmann

Als Rommels deutsch-italienische Panzerarmee am 26. Mai 1942 ihre finale Offensive startete, die zur Einnahme von Kairo führen sollte, erlangten auch die Wüsten- und Gebirgsregionen weit südlich der nord-afrikanischen Küste strategische Bedeutung.

Zum einen bestand die Gefahr, daß gegnerische Kräfte hier zu einem Flankenangriff aufmarschieren, zum anderen hatte das Oberkommando der Wehrmacht Kenntnis von zwei hochwichtigen Nachschubrouten, welche von den Häfen am Golf von Guinea über den Tschad bis nach Port Sudan am Roten Meer führten. Deshalb bekam Abwehrchef Canaris den Auftrag, „beschleunigt zu prüfen, ob und wie diese Straßen für längere Zeit gestört oder unterbrochen werden können“.

In Umsetzung dieser Weisung führte die Abwehrabteilung II, zuständig für Sabotage und Sonderaufgaben, im Juni 1942 das „Unternehmen Dora“ durch. In dessen Verlauf stießen zwei Kommandoeinheiten der „Brandenburger“ quer durch Libyen bis in den Norden des Niger und des Tschad vor. Dort trafen sie sowohl im Tummo- als auch im Tibesti-Gebirge auf gaullistische Einheiten, deren starke Präsenz zum Rückzug nötigte. Ursache für das unerwartet weite Vorrücken der „Freifranzosen“ war der Angriff eines einzelnen He-111-Bombers auf die Treibstofflager von Fort Lamy (heute: N’Djamena) am Tschadsee, der natürlich für erhebliche Beunruhigung gesorgt hatte.

Allerdings resultierte der Mißerfolg der „Brandenburger“ nicht nur aus der gegnerischen Übermacht – als mindestens genauso nachteilig erwies sich die mangelnde Brauchbarkeit des verwendeten italienischen Kartenmaterials. Aber mit diesem Problem hatte die Abwehrführung bereits gerechnet und ein „Sonderkommando Dora“ zusammengestellt, dessen Aufgabe darin bestehen sollte, die „fehlenden Unterlagen für expeditionsartige Operationen nach Zentralafrika und gegen den Sudan“ zu erstellen.

Zu diesem Zweck rekrutierte die Abwehrabteilung I (Nachrichtenbeschaffung) vorrangig Geowissenschaftler. So oblag die fachliche Leitung dem Geographen Otto Schulz-Kampfhenkel. Ansonsten gehörten dem Kommando noch Geologen, Hydrologen, Meteorologen, Astronomen, Mathematiker, Topographen und Kartographen an. Dazu kamen ein Zoologe, ein Archäologe und zwei Völkerkundler. Die letztgenannten sollten ergänzende Untersuchungen über das Erkundungsgebiet anstellen beziehungsweise Kontakt zu den ortsansässigen Nomadenstämmen aufnehmen. Für den Schutz der Wissenschaftler sorgte eine militärische Eskorte, welche unter anderem über zwei Panzerspähwagen verfügte und unter dem Befehl von Oberstleutnant Herbert Haeckel stand. Ebenso stellte die Luftwaffe einige Maschinen für Aufklärungsflüge zur Verfügung.

Die ersten großen Erkundungstouren des „Sonderkommandos Dora“ führten im Juli 1942 nach Südwesten beziehungsweise Süden: Die „Technische Gruppe West“ unter Leutnant Arndt Heinrich von Oertzen erkundete die Verhältnisse entlang der traditionellen Karawanenroute nach Ghat an der algerischen Grenze. Die „Technische Gruppe Ost“ wiederum, welche von Hauptmann Karl Höfig befehligt wurde, arbeitete sich durch streckenweise äußerst unwegsames Gelände in Richtung des Schildvulkans Wau en Namus vor, der nördlich des Tibesti-Gebirges und damit der Grenze zum Tschad aus einer weiten Kiesebene aufragte. Dabei stießen die deutschen Aufklärer sowohl auf die Spuren britischer Long Range Desert Groups als auch auf eine getarnte Piste gaullistischer Spähtrupps.

Die Erkundungsergebnisse des „Sonderkommandos Dora“ lagen den deutschen und italienischen Militärs bereits im August 1942 vor. Genau zu diesem Zeitpunkt plante Rommel einen erneuten Angriff bei El Alamein, nachdem der erste Vorstoß Richtung Suezkanal gescheitert war. Doch die deutsch-italienische Panzerarmee fraß sich auch im zweiten Anlauf fest, und schließlich lief am 23. Oktober sogar eine große britische Gegenoffensive an, die zum Rückzug zwang. Kurz darauf landeten die Briten und Amerikaner in Marokko und Algerien („Operation Torch“), wonach sich ihr Blick auf Tunesien richtete. Dennoch aber erging in dieser Situation ein erneuter Befehl an das Abwehr-Kommando, so weit wie möglich nach Süden vorzustoßen. Anlaß waren ernstzunehmende Gerüchte, daß starke gaullistische Truppen bereitstünden, um im Verlaufe des Dezembers von Französisch-Äquatorialafrika aus über Ghat und das Tibesti-Gebirge nach Libyen vorzustoßen, wodurch sich die Gefahr ergab, daß noch eine dritte Front entstand.

Zur Feststellung der tatsächlichen Lage rückten die Bodengruppen A und B des Sonderkommandos in Eilmärschen in Richtung Algerien und Tschad vor. Dabei wurden sie von zwei Flugzeugstaffeln begleitet, die eine parallele taktische Luftaufklärung betrieben. Während dieses Vorstoßes gelangte die Abteilung B unter dem Kommando des Rittmeisters Lang Mitte Dezember bis fast an den Fuß des Tibesti-Gebirges. Hier allerdings, in unmittelbarer Nähe der Grenze zum Tschad, traf ein Funkspruch der Abwehrführung ein, der alle Gruppen des Sonderkommandos nach Tripolis zurückbeorderte – gerade rechtzeitig, um den jetzt wirklich massiv vorrückenden Freifranzosen noch zu entkommen.

Die Angreifer bewegten sich in zwei Stoßkeilen nach Norden und wurden am 27. Dezember in der Nähe des Wau en Namus gesichtet. Kurz darauf begannen die gaullistischen Truppen, welche unter dem Kommando von Brigadegeneral Jacques-Philippe Leclerc standen, das komplette italienische Stützpunktnetz im Inneren Libyens aufzurollen, was ihnen nicht sehr schwer fiel, da die Forts zumeist in einem desolaten Zustand waren.

Durch ihren rechtzeitigen Rückzug entgingen die Angehörigen des „Sonderkommandos Dora“ einem Zusammentreffen mit den Leuten Leclercs, die später durch ihre brutale Kampfführung einschließlich einiger Kriegsverbrechen bekannt wurden. Anlaß für die plötzliche Offensive war de Gaulles Bestreben, ebenfalls in Nordafrika präsent zu sein. Immerhin hatten ihm die Briten und Amerikaner eine Beteiligung an der „Operation Torch“ verweigert und sich in deren Verlauf mit dem Vichy-Admiral François Darlan arrangiert.

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