© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/12 07. Dezmber 2012

Im Netz der Korruption
Doppelfolge: Der neue Tatort aus Hannover ergründet die Seilschaften zwischen Politik und Rotlichtmilieu
Michael Johnschwager

Eine junge Frau mit kindlichen Zügen befreit sich übel zugerichtet aus einer Müllhalde in Hannover. Ein anderes Mädchen hat weniger Glück: Die Polizei findet nur noch ihre Leiche. Der neue Tatort „Wegwerfmädchen“, der am kommenden Sonntag in der ARD ausgestrahlt wird, bietet harte Bilder und unbequeme Wahrheiten. Auch unter den Journalisten bei der Vorpremiere in der vergangenen Woche macht sich Beklommenheit breit. Das Schweigen löst sich nur zögerlich auf. Während die Zuschauer noch einmal durchatmen, nimmt die niedersächsische LKA-Kommissarin Charlotte Lindholm (hervorragend: Maria Furtwängler) die Ermittlungen auf.

Das überlebende Mädchen, Cousine des Mordopfers, berichtet, wie sie über einen in Weißrußland ausgetragenen Modelwettbewerb zusammen mit anderen blutjungen Frauen in das vermeintlich sichere Deutschland kommt. Statt des versprochenen Paradieses werden sie unter Drogen gesetzt und als Zwangsprostituierte der zahlungskräftigen Hannoveraner Gesellschaft zugeführt. Diese „feine Herrenrunde“ aufzumischen, erweist sich für Lindholm als fast unmögliche Aufgabe. Die Spuren führen sie schnell ins Hannoveraner Rotlicht- und Rockermilieu. Selbst der ermittelnde Staatsanwalt von Braun (André Hennicke) scheint involviert zu sein. Schließlich kann der mutmaßliche Mörder gestellt werden.

Ein nur fast ganz normales Tatort-Ende. Erstmals in der Geschichte der Fernsehinstitution, die sonntags Millionen Zuschauer erreicht, wagen sich die Macher an eine Doppelfolge. Am 16. Dezember läuft „Das goldene Band“. Beide zusammen bilden eine in sich geschlossene Handlung. Kurz gesagt: Der Mörder des ersten Teils wird von Mithäftlingen ermordet. Gegen Widerstände im LKA Hannover rollt Lindholm den Fall erneut auf. Vergeblich waren ihre Anstrengungen geblieben, die Barriere zu durchdringen, hinter der sich Mitglieder aus „besseren Kreisen“ der niedersächsischen Hauptstadt mit jungen Zwangsprostituierten vergnügen. Die Kommissarin muß schließlich auf unorthodoxe Methoden zurückgreifen.

Drehbuchautor Stefan Dähnert und Regisseurin Franziska Meletzky legen mit diesem brisanten Thema den Finger gekonnt in die Wunde. Sie geben den Blick frei auf eine Gesellschaft, in der sich organisierte Kriminalität, Sicherheitsbehörden und wirtschaftliche Strippenzieher die Hand geben. Es ist kein Zufall, daß der Tatort an einen wahren Fall erinnert. 2010 kamen Vorwürfe ans Licht, nach denen ein Staatsanwalt in Hannover zahlreiche Dienstvorschriften gebrochen haben soll, um illegale Prostitution zu decken. Lange hielten die Behörden dicht und versuchten zu vertuschen. Im Zweifel für den Staatsanwalt.

Gerade die Aufarbeitung solcher Vorgänge macht die beiden Folgen so interessant. Die Serie hat sich auch dadurch zum Dauerbrenner entwickeln können, weil sie gesellschaftliche Tendenzen und Phänomene erkennt, aufgreift und dem Format so innovative Schübe verleiht. Dem Publikum wird die Zwangsprostitution jenseits von Schleppern und Zuhältern offenbart. Die jungen Frauen sind oft Gewalt, Repression und Drogen ausgesetzt.

Zwar kann sich das Tatort-Team wie so oft auch hier den moralischen Zeigefinger nicht ganz verkneifen, ausgeglichen wird dies jedoch durch die ausgezeichnete Leistung der Schauspieler. Es ist offensichtlich, daß sie das Thema jenseits der Rolle interessiert. „Wie schlimm es Zwangsprostituierten ergeht, weiß ich nicht zuletzt durch meine Zusammenarbeit mit der Somaly Mam Foundation“, sagt Furtwängler. Diese Gesellschaft setzt sich in Kambodscha dafür ein, Kinder aus der Zwangsprostitution zu befreien. Frauen würden auch in Deutschland immer öfter zu einer Belohnungsware degradiert, prangert sie an und gesteht: „Das hat mich ganz schön mitgenommen.“ Gedreht wurde zum Teil in Osteuropa.

Besonders die Rolle des überlebenden „Wegwerfmädchens“, Larissa Pantschuk, ist mit Emilia Schüle ideal besetzt. Die 20jährige Rußlanddeutsche verkörpert in ihrer Rolle die finanzielle Misere vieler Frauen in Osteuropa, die sie nach Deutschland zieht. Ihr Vertrauen in das Fürsorgesystem in Deutschland verbunden mit einem gewissen Fatalismus, letztendlich einen Modus zu finden, der einen legalen Status irgendwann in Aussicht stellt, lassen sie meist ihre Bedenken über Bord werfen.

Tatort: Wegwerfmädchen, ARD, 9. Dezember 2012, 20.15 Uhr / Das goldene Band, ARD, 16. Dezember 2012

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen