© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 14. Dezmber 2012

Pro Köln im Visier
Ermittlungen: Wegen Betrugesvorwurfs sitzt der Kölner Ratsherr Jörg Uckermann in Untersuchungshaft
Henning Hoffgaard

Es ist kompliziert. Wer sich mit den derzeit laufenden Ermittlungen gegen die Bürgerbewegung Pro Köln beschäftigt, stößt schnell auf ein Netz von Widersprüchen, Schuldzuweisungen und Verdächtigungen. „Bandenmäßiger Betrug“ lautet der Vorwurf der Stadt Köln und der Staatsanwaltschaft, der dem Pro-Köln-Ratsherrn Jörg Uckermann Untersuchungshaft eingebracht hat. Der Verdacht: Die Stadtratsfraktion soll über Monate hinweg Sitzungen angemeldet haben, die gar nicht stattgefunden hätten. Für diese erhalten Politiker und sogenannte „sachkundige Bürger“ eine Aufwandspauschale von 17,50 beziehungsweise 35 Euro. Abgeordnete und interessierte Kölner können im Jahr maximal 3.675 Euro pro Person geltend machen. So weit, so klar.

Wie aber will man einer Partei nachweisen, daß abgerechnete Fraktionssitzungen gar nicht abgehalten wurden? Damit tut sich auch die Kölner Staatsanwaltschaft schwer. Gegen 10 bis 20 aktuelle und ehemalige Ratsmitglieder von Pro Köln und „sachkundige Bürger“ wird derzeit ermittelt. Kursierten in der Lokalpresse bis vor kurzem noch schwindelerregende Zahlen – angeblich soll Pro Köln mehr als 100.000 Euro zu unrecht erhalten haben, gibt man sich bei den Behörden wortkarg. „Um wieviel Geld es genau geht, ist noch unklar“, sagt Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer der JUNGEN FREIHEIT. Auch die Kölner Stadtverwaltung kann auf Nachfrage keine genauen Zahlen nennen.

Dabei war es die Stadt, die die Untersuchung mit einer Anzeige im März dieses Jahres in Gang gebracht hatte. Kurz darauf friert sie alle Zahlungen für Arbeitssitzungen für Pro Köln ein. Im Oktober folgen mehrere Hausdurchsuchungen. Auch für Fraktionssitzungen erhält die Partei seit November keine Gelder mehr. „210 Fraktionssitzungen in einem Jahr sagt ja schon mal einiges aus“, sagt eine Stadtsprecherin der JF. Der unausgesprochene Vorwurf: So viele Sitzungen kann eine Fraktion gar nicht abhalten. Der Generalsekretär von Pro Köln, Markus Wiener, sieht das anders: „Wir hatten beispielsweise 2011 in etwa genauso viele Fraktionssitzungen wie die Grünen.“ Eine Kontrolle der Sitzungen ist bei sieben im Rat vertretenen Parteien und 90 Abgeordneten kaum möglich. Jahrelang vertraute man den kaum nachprüfbaren Angaben. Zum Politikum werden die Sitzungsgelder, nachdem bekannt wird, daß die Pro-Bewegung besonders von ihnen profitiert.

95.084 Euro erhielt sie zwischen Januar und November 2011. Die deutlich größere CDU-Fraktion bekam 63.298 Euro. Überdurchschnittlich viele Mittel erhielten in diesem Zeitraum allerdings auch die anderen kleinen Parteien, wie die FDP (29.000 Euro). Wiener ist sich deswegen sicher, daß es sich um einen „politisch motivierten Vernichtungsfeldzug gegen die Pro Bewegung“ handelt. Staatsanwaltschaften seien schließlich politisch weisungsgebunden. Auf die Kritik, zu viele Kölner eingeladen zu haben, reagiert er gelassen: „Wir haben, das stimmt, viele sachkundige Bürger in unserer politische Arbeit eingebunden. Das ist ja nichts Illegales, sondern etwas Lobenswertes.“ Trotz der gesperrten Gelder sei die Arbeit des Landesverbandes und der Stadtratsfraktion nicht beeinträchtigt. Dennoch liefen bereits mehrere Klagen gegen das Vorgehen der Verwaltung. „Hier wird aus Verdachtsfällen der Vergangenheit eine Rechtsfolge für künftige Fraktionssitzungen hergestellt.“

Obwohl gegen fast alle derzeitigen und früheren Pro-Köln-Ratsmitglieder ermittelt wird, steht besonders der Abgeordnete Jörg Uckermann im Mittelpunkt. Seit mehr als dreißig Tagen befindet er sich in Untersuchungshaft. Die Ermittlungsbehörden machen „Verdunkelungsgefahr“ geltend. Er habe versucht, Zeugen zu beeinflussen, heißt es von der Staatsanwaltschaft.

Jüngst attestierte ihm ein Mediziner Selbstmordgefahr. Seitdem steht Uckermann unter besonderer Beobachtung. „Beschwerlich“, nennt der stellvertretende Chef der Justizvollzugsanstalt Ossendorf, Wolfgang Schriever, laut Kölner Rundschau die Haftbedingungen. Alle 15 Minuten wird die Zelle des Politikers überprüft. Auch in der Nacht schauen Wärter regelmäßig nach dem Ratsherr, der seine Zelle selbst zum Schlafen nicht mehr verdunkeln darf. In Uckermanns Bekanntenkreis stoßen die Maßnahmen auf Verwunderung. Niemand hält den Politiker dort für selbstmordgefährdet. Mit einem schnellen Prozeßbeginn ist derzeit kaum zu rechnen. Frühestens im ersten Halbjahr 2013 könne es vielleicht zur Verhandlung kommen, heißt es aus Justizkreisen.

Trotz der laufenden Ermittlungen hat Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) sich bereits ein Urteil gebildet: „Die gegen Fraktionsmitglieder von Pro Köln erhobenen Betrugsvorwürfe zeigen einmal mehr, wie skrupellos sich diese Rechtsextremisten den demokratischen Rechtsstaat zur Beute machen wollen.“ Zudem ist er sich sicher, daß die „geistigen Brandstifter“ nicht einmal davor zurückzuschrecken, „ihre menschenverachtende und ausländerfeindliche Hetze durch Straftaten zu finanzieren“. In der Öffentlichkeit sind die Fronten also verhärtet. Auf der einen Seite Stadtverwaltung und SPD-Minister, die sich ihr Urteil auch ohne Ermittlungen schon gebildet haben. Auf der anderen Seite Pro Köln, die von einem politisch motivierten Verfahren ausgeht.

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