© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 14. Dezmber 2012

Wenn die Existenz zu Bruch geht
„Kampf gegen Rechts“: Angriffe von Linksextremisten drohen ein Berliner Lokal in den Ruin zu treiben
André Freudenberg

Unweit der S-Bahn-Station Berlin-Wedding, direkt am Nettelbeckplatz, befindet sich die „Postkutsche“, ein Restaurant, das gutbürgerliche deutsche Küche anbietet. Und das seit 1981. „Wir haben das Geschäft aufgebaut mit viel Mühe und Fleiß“, erinnert sich die Betreiberin Karin Ruch, die mit ihren fast 70 Jahren immer noch täglich für die Gäste da ist. Doch was sie und ihre fünf Angestellten in den vergangenen zwei Monaten durchmachen mußten, gleicht einem wahren Alptraum.

Das Drama begann in der Nacht vom 14. zum 15. Oktober. Im Schutz der Dunkelheit wurden die Scheiben des Restaurants eingeschmissen. Mit dem Anschlag wollten mutmaßliche Linksextremisten eine Veranstaltung des Hoffmann-von-Fallersleben-Bildungswerks, das vom Berliner Verfassungsschutz dem rechtsextremen Spektrum zugerechnet wird, verhindern. Anwohner alarmierten die Polizei, doch die Täter konnten unerkannt flüchten.

Karin Ruch erfuhr erst am Morgen von dem Anschlag. Tags darauf fand auch noch eine Demonstration vor dem Haus statt. Die „Postkutsche“ sagte schließlich die Veranstaltung des Bildungswerkes ab, die linke Szene feierte dies in einem Internet-Blog mit dem bezeichnenden Namen „aufdiepelleruecken“ als „Sieg“. Vom politischen Hintergrund der Gäste habe sie nichts gewußt, erzählt Ruch. Auch nicht, daß es sich bei den etwa 25 Leuten mit Schlips und Anzug, die im September im Grünen Salon Eisbein gegessen hatten, um Sympathisanten der NPD gehandelt habe. Schließlich trage ja keiner auf der Stirn geschrieben, welche politischen Ansichten er vertrete. Die Inhaberin fühlt sich „überrumpelt“.

Den Stein ins Rollen gebracht hat Daniel Gollasch. Der Grünen-Politiker, der als Direktkandidat für den Wahlkreis Mitte 5 im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, ist im „Kampf gegen Rechts“ besonders eifrig. Seine Diplomarbeit schrieb er zum Thema „Die NPD in Mecklenburg-Vorpommern. Eine Partei auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft?“ Für ihn gehört „das Anwachsen von Rassismus und Islamfeindlichkeit“ zu den maßgeblichen Problemen im Wedding. Da kam es ihm offenbar in den Sinn, auch einmal selbst „vor Ort“ Erkundigungen anzustellen. So habe er die „Postkutsche“ besucht und „versucht, was rauszukriegen“, sagt Ruch. Man habe ihm auch das Betriebsbuch gezeigt. Wenig später forderte er in einer Pressemitteilung die CDU auf, dort keine Bürgersprechstunden mehr abzuhalten und die Zusammenarbeit mit dem Lokal zu beenden.Damit, daß bald darauf die Scheiben splitterten, hatte er offenbar nicht gerechnet, und so distanzierte er sich von der Gewalt und auch von den Anschuldigungen gegen Ruch.

Daß sie keine Kenntnis von den Aktivitäten der Gäste hatte, glaube er ihr, schreibt der Politiker auf seiner Internetseite.

Doch damit konnte er nicht verhindern, daß die selbsternannten „Antifaschisten“ Anfang November erneut zuschlugen. Nun reichte es offenbar nicht, Scheiben einzuschmeißen. Die Fassade des Restaurants wurde auch noch mit Teer und Sprühfarbe verunstaltet. „Es war alles schwarz“, erinnert sich die Inhaberin. Wieder gab es keine Vorwarnungen. Die Ermittler haben noch keine Spur. Die Polizei nimmt die Gegend um den Nettelbeckplatz allerdings stärker als bisher in Augenschein: „Die fahren hier viel rum“, beobachtet Karin Ruch.

Die Folgen für den Betrieb sind katastrophal: Den Schaden durch den ersten Anschlag mußte die Wirtin komplett selbst bezahlen, da Vandalismus als Schadensfall von der Versicherung nicht anerkannt wurde. Die Kosten beliefen sich auf rund 20.000 Euro. Spuren der Verwüstung sind immer noch sichtbar, da das Auswechseln der Glasscheiben aufgrund der Gefahr eines erneuten Anschlages zu riskant wäre.

Als weitaus gravierenderes Problem erweist sich jedoch das Fernbleiben der Kundschaft. „Die Gäste haben Angst, daß sie was abbekommen“, stellt Ruch resigniert fest, besonders nach Einbruch der Dunkelheit. Schlimm sei vor allem, daß ganze Gruppen abgesagt hätten, die die Tagungsräume bislang nutzten. Hierzu zählen Hauseigentümer, die hier ihre Versammlungen abhalten, der Zinnfigurenverein und der Ärzteverein der Schering AG, die ihren Hauptsitz in Wedding in unmittelbarer Nähe hat. Auch ein Chor, der über 25 Jahre hier war, kommt nicht mehr. Nun ist die „Postkutsche“ „am Rande der Pleite“, wie Ruch traurig anmerkt: „Fast um 60 Prozent ist der Umsatz zurückgegangen“, lauter ihre bittere Bilanz.

Von der CDU im Wedding, der sie seit vielen Jahren angehört und die in ihrem Lokal bislang häufig tagte, fühlt sich Ruch im Stich gelassen. Auch ihre Parteifreunde kommen nicht mehr. Nicht einmal eine Spendensammlung gab es seitens der Partei. Zu einer offensiven Bekämpfung des Linksextremismus scheint die Berliner CDU ebenso weder willens noch in der Lage, obwohl sie mit Frank Henkel den Innensenator stellt. Auch unter seiner Ägide gibt es zwar ein Register für Rechtsextremisten, nicht aber für Linksextremisten.

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