© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 14. Dezmber 2012

Auf dem Weg in den Nahost-Konflikt
Bundeswehr: Trotz erheblicher Risiken will die Bundesregierung Patriot-Raketen in der Türkei stationieren
Paul Rosen

Deutschland setzt wieder Soldaten in Marsch. 400 Mann aus zwei Bataillonen mit Patriot-Flugabwehrraketen sollen – zunächst befristet bis Januar 2014 – an der türkisch-syrischen Grenze den Luftraum überwachen und gegebenenfalls feuern, falls Syriens Herrscher Assad Flugzeuge in den türkischen Luftraum eindringen läßt oder Raketen über die Grenze schießt. Was der Einsatz eigentlich soll, weiß selbst die Bundesregierung nicht genau zu sagen. In ihrer Beschlußvorlage für den Bundestag, dem die übliche große Mehrheit aus Koalition und Opposition zustimmte, wird darauf hingewiesen, daß der politische Wille des syrischen Regimes zum Einsatz seines Waffenarsenals gegen die Türkei derzeit nicht erkennbar sei.

Was also soll dann diese Aktion, die mit den Einsätzen in Afghanistan oder vor der somalischen Küste nicht vergleichbar ist, weil sie auf Nato-Territorium stattfindet und dem Schutz eines Mitgliedslandes der Allianz gelten soll? Man wird die Ansicht vertreten können, daß die Türkei sich bedroht fühlt, die Bündnisartikel des Nato-Vertrages greifen und die Regierung in Ankara somit Hilfe bei den Partnern anfordern konnte. Schon im Golfkrieg 1990 war das der Fall. Damals wurden deutsche Patriot-Bataillone an der Grenze zum Irak stationiert. Man hörte von dem Einsatz nach dessen Beginn ebensowenig wie von Saddam Husseins Luftwaffe, von der sich die Türkei damals bedroht sah.

„Das heutige Verlangen der türkischen Regierung ist nach den schon eingetretenen Zwischenfällen an der syrischen Grenze politisch und militärisch nachvollziehbar und wurde von der Nato so beurteilt. Der Bündnisfall ist also gegeben“, urteilte Lothar Rühl in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Rühl, ehemaliger Staatssekretär im Verteidigungsministerium, weiß, wessen Lied er zu singen hat. Zu Ende gedacht sind seine Aussagen nicht: Was ist, wenn die Patriots feuern, also wenn Assad angreifen sollte? Selbst die Bundesregierung denkt in letzter Konsequenz daran: Ein Einsatz der Raketen könne insbesondere im Zuge einer „irrationalen Endphase des Assad-Regimes“ nicht ausgeschlossen werden. Einen Einsatzplan, wie die westliche Allianz dann damit umgehen will, gibt es aber nicht.

Allerdings verlangte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, die Nato dürfe nicht den Kopf in den Sand stecken. Rasmussen wird offenbar von den Vereinigten Staaten, Großbritannien und der Türkei unterstützt. Gerade Ankara hofft und wünscht, daß irgend jemand die Drecksarbeit übernimmt, das Assad-Regime zu beseitigen. Zu den Gegnern zählt besonders Außenminister Guido Westerwelle (FDP). Er wollte von einer weitergehenden Aktion nichts wissen: „Deutschland ist an keinerlei Überlegungen oder Planungen beteiligt, die auf eine Intervention hinauslaufen.“

Auch das Bundestagsmandat schreibt eindeutig vor, daß die Patriots nicht nach Syrien hinein wirken dürfen. An anderer Stelle heißt es, der Einsatz „dient nicht der Einrichtung der Überwachung einer Flugverbotszone über syrischem Territorium“. Eine Flugverbotszone war von westlichen Streitkräften seinerzeit über Libyen eingerichtet worden. Zur Verstärkung der Argumentation der Einsatzbefürworter tauchten wie schon vor dem letzten Irakkrieg Gerüchte über einen möglichen Giftgaseinsatz auf, worauf die Vereinigten Staaten mit massiven Warnungen an Damaskus reagierten. Ob Assad solche Waffen besitzt, ist unklar. Daß er so irrational handeln und Giftgas einsetzen würde, wird im Moment für unwahrscheinlich gehalten.

Andererseits ist nicht erst seit gestern zu beobachten, daß die Türkei eine zunehmend aggressive Rolle in der Region spielt und osmanische Großmachtträume hegt. Aus der instabilen Lage in Libyen, Ägypten, Irak und Syrien zieht die militärisch starke Türkei Vorteile und gewinnt Einfluß in der Region – auch auf radikale moslemische Kräfte. Auch deshalb hat sich Ankara von Israel weg orientiert.

Mit der Truppenentsendung begibt sich Deutschland in Haftung gegenüber der Türkei. Wenn Ankara sich auf Provokationen und Nadelstiche in Form kleinerer militärischer Attacken gegen Syrien verlegen und Assad tatsächlich „irrational“ reagieren sollte, würde Berlin mittendrin im Nahost-Konflikt stecken. Raus kämen die Deutschen nur durch heillose Flucht, was sie auf internationalem Parkett lächerlich machen würde.

 

Patriot

Das seit den sechziger Jahren ständig weiterentwickelte amerikanische Flugabwehrsystem vom Typ Patriot geriet erstmals 1991 im Krieg gegen den Irak in die Schlagzeilen, als es in Israel gegen den Beschuß durch irakische Scud-Raketen eingesetzt wurde. Über die neueste Patriot-Version Pac 3, mit der sowohl Flugzeuge als auch Raketen abgeschossen werden können, verfügen neben Deutschland nur die Vereinigten Staaten und die Niederlande, die ebenfalls Einheiten in der Türkei stationieren wollen.

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