© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 14. Dezmber 2012

Gnadenlos erlöst
Dresden: Beethoven-Zyklus unter Kurt Masur
Sebastian Hennig

Kurt Masur boxte bei Honecker den Bau seines Konzertsaals in Leipzig durch. Ein ähnlich ehrgeiziges Projekt bedroht die Dresdner Philharmonie zur Zeit so stark, daß eine Pressemitteilung verlautete: „Die Philharmonie ist nur noch in der Welt zu Hause!“ Das Stammhaus des Orchesters, der Kulturpalast, wird von einem mustergültigen Mehrzwecksaal in eine ambitionierte Konzerthalle umgebaut werden. Der Architekt hat gegen die Entstellung seiner Raumkonzeption vor Gericht und Öffentlichkeit bereits Klage geführt.

Weit beklagenswerter ist, daß dieses fabelhafte Orchester jahrelang auf Räume von ungenügender Akustik und Aura ausweichen mu. In einem Kinosaal wird geprobt, konzertiert mal im Schauspielhaus, im Lichthof des Albertinums oder in der Kreuzkirche. Ermutigend wirkt allein die bedingungslose Treue des Publikums, das trotz seines durchschnittlich hohen Alters große Unbequemlichkeiten hinzunehmen bereit ist. Es vergilt den Orchestermitgliedern mit stehenden Ovationen ihr gesteigertes Arbeitsleid.

Nur Gastspiele gestatten der Philharmonie in dieser schweren Zeit, ihre Fähigkeiten unter optimalen Raumbedingungen ausspielen zu können. Ein Zyklus sämtlicher Beethoven-Sinfonien unter Kurt Masur erklang sowohl in Dresden als auch hernach an vier Abenden vom 8. bis 11. Dezember in München.

Masur (85) war nach einem harten Karriere-Knick Chefdirigent der Dresdner Philharmonie von 1967 bis 1972. Den jungen Konzertbesuchern erschien der Mitdreißiger damals wie eine Reinkarnation Beethovens. Wenn der gebrechliche Meister heute vor das Orchester tritt, wirkt sein Buddha-Kopf als wunderlicher Kontrast zur geordneten Brutalität der Beethovenschen Musiksprache, ihrer gnadenlosen Erlöstheit.

Wenn es auch aussieht, als ob ein altersbedingter Tremor der linken Hand als Dirigat kaschiert werden soll, hebt doch die 6. Sinfonie fein und federnd an, und bleibt selbst in der grandiosen Gewitterszene transparent. Das im tänzerischen Finale der 7. Sinfonie die Streicher im Gehämmer der Pauken und Trompeten ausgelöscht werden, liegt an der ungünstigen Raumakustik. Das Orchester spielt fabelhaft und kann sich gut gegen die Konkurrenz der Staatskapelle behaupten, die gerade unter ihrem neuen Dirigenten Christian Thielemann (JF 36/12) einem Höhepunkt ihres öffentlichen Ruhmes entgegenstrebt.

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