© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 14. Dezmber 2012

Faschismus der Natur
Vordenker der Konservativen: die US-Kulturhistorikerin Camille Paglia / JF-Serie, Teil VI
Ellen Kositza

Camille Paglia wuchs als Kind einer italienischen Einwandererfamilie in New York auf, sie studierte in Yale und graduierte dort als Philosophin. Die erweiterte Fassung ihrer Dissertation lag 1981 vor. Es sollte ein Jahrzehnt vergehen, bis sie einen Verlag für ihr Mammutwerk „Sexual Personae“ (1990) fand. Darin läßt Paglia die Kultur- und Literaturgeschichte vom alten Ägypten bis ins 19. Jahrhundert unter den – aus ihrer Sicht bestimmenden – Vorzeichen der Geschlechterdifferenz antreten.

Kultur, so Paglias zentrale These, entstehe im wesentlichen durch Domestizierung von Sexualität. Der Unterschied zwischen Mann und Frau sei ein grundsätzlicher und ewiger. „Dunkle pagane Mächte“ bestimmten die Sexualität, und jene wiederum markiere durch die Zeiten hindurch die „heikle Schnittstelle“ zwischen Natur und Kultur. Die westliche Kulturgeschichte sieht Paglia geprägt durch eine Konkurrenz zwischen hebräischer Wort- und heidnischer Bildsprache. Von Nietzsches Philosophie beeinflußt sind die Gegensatzpaare, aus deren stetigem Ringen sie sämtliche Kulturleistungen ableitet: Hier das Apollinische als genuin männliches (und westliches) Prinzip, als Klarheit, Sprache, Struktur und Erfindungsgabe zutage tretend, dort die dionysischen Kräfte: das Erdgebundene, Irrationale, Fließende, das Weibliche als „fruchtbarer Urschlamm“. Kunstschaffen und Transzendenz entstehe allein aus männlich-apollinischer Abwehr der chthonischen Verlockung. Niemand, auch nicht die gleichsam „männlich“ sozialisierte und auftretende Frau, könne letztlich aus seiner, aus ihrer Haut. Die Geschlechterdifferenz sei zwingend: „Wir können dem Leben in diesen faschistischen Körpern nicht entfliehen.“ Der moderne Mensch verheimliche sich gern, wie sehr er der Natur ausgeliefert ist. Ein „Schulterzucken der Natur“ reiche, um das brüchige Gefüge der Zivilisation einstürzen zu lassen und atavistische Verhaltensweisen zum Vorschein zu bringen.

Der weibliche Körper, gleichgültig gegen den Geist, der ihn bewohnt, habe organisch nur eine Bestimmung, „die Schwangerschaft, deren Verhinderung uns ein Leben lang beschäftigen kann. Die Natur kümmert sich um die Gattung, nie um den einzelnen.“ Ihr eigenes „sexuelles Versagen“ hat die Lesbierin Paglia, die in fortgeschrittenem Alter mit ihrer Lebensgefährtin ein Kind adoptierte, eingeräumt.

Paglia ist eine Kritikerin Rousseaus, in dessen Gefolge ebenso der Milieutheorie. Die Dekonstruktivisten und Poststrukturalisten haßt sie leidenschaftlich. Die breite Wirkung, die Derrida, Lacan, vor allem aber Foucault in akademischen Kreisen feierten, nennt Paglia ein krankes „Führer-Syndrom“, „die Sehnsucht vermeintlich freier, liberaler Denker nach einer Autorität“. Der „moderne“ Feminismus (Paglia spricht sich durchaus für eine formale, politische Gleichstellung von Frauen aus) gilt ihr als eine der Hauptströmungen, die den wirklichkeitsblinden Machbarkeitsglauben jener Vorväter beerbt hätten.

Während Paglias Fokus der Natur (als „Schicksal“) und ihren Gesetzen gilt, ist ihre Leidenschaft der Kunst gewidmet, der kreativen Schaffenskraft, dem also, was ihr als männliches Prinzip gilt: „Wäre die Zivilisation den Frauen überlassen, säßen wir heute noch in Schilfhütten.“ Daß sie regelmäßig der Misogynie bezichtigt wird, ficht sie nicht an. Sie beschreibe nur, was sie sehe, und vor Frauen, die sich selbst ermächtigen, ziehe sie den Hut. Keine Gesetzgebung, kein Beschwerdeausschuß könnten an den Grundtatsachen geschlechtlicher Bedingtheit rütteln.

Paglias Ruhm in Deutschland währte kurz. Mitte der neunziger Jahre widmeten ihr bundesdeutsche Leitmedien ein paar Schlagzeilen, danach verebbte die Aufmerksamkeit. Für den akademischen Geschlechterdiskurs war sie ohnehin undiskutabel. Mit ihrem beharrlichen Rekurs auf das Körperliche als das Maß der Dinge, ihrem Beharren auf dem unerbittlichen „Faschismus der Natur“ hat sich Paglia bisweilen den Schmähruf einer Biologistin eingehandelt.

Die Frau, die Vergewaltigungen erklärbar machen wollte, Pornographie als urmännliches Bedürfnis versteht, Männlichkeit aufs engste mit Homosexualität verknüpft sieht, die Todesstrafe befürwortet und sich genauso unmißverständlich für ein Recht auf Abtreibung einsetzt, wie sie dasselbe als „Mord“ und ewiges „Recht des Stärkeren“ bezeichnet, gilt sowohl Bürgerlichen als auch Feministinnen als zynisches Schreckgespenst – was durchaus auf Gegenseitigkeit beruht.

In den USA reüssiert sie bis heute als streitbarer Gast in Talkshows, klein und zierlich, augenrollend und – intellektuell stets eloquent – Wortkaskaden auftürmend.

Paglia, seit 1984 als Professorin für Medien- und Geisteswissenschaften in Philadelphia lehrend, und dabei die gesamte abendländische Geistesgeschichte griffbereit im Marschgepäck vorhaltend, scheut sich nicht vor den Niederungen des Trivialen. Über Pop-Phänomene wie Madonna und Lady Gaga hat sie sich ausführlich abgearbeitet, in ihren Glossen und Artikeln in diversen amerikanischen Magazinen kommentiert sie bis heute das Geschehen auf dem Boulevard. Sie sieht sich als provozierende Vermittlerin zwischen der weltfremden linken, nach wie vor von Marxismus und Frankfurter Schule beeinflußten Welt der Universitäten einerseits und den Massenmedien andererseits, wo das Herz des Volkes schlage.

 

Vordenker

Das Institut für Staatspolitik (IfS) hat den dritten Band seines „Staatspolitischen Handbuchs“ vorgelegt. Nach den „Leitbegriffen“ (2009) und den „Schlüsselwerken“ (2011) werden nun die konservativen „Vordenker“ präsentiert. Der von IfS-Geschäftsführer Erik Lehnert und dem Historiker Karlheinz Weißmann herausgegebene Band versammelt in alphabetischer Reihenfolge 129 Personen, „die der konservativen Sache wichtige Impulse gegeben haben“. Die JUNGE FREIHEIT stellt einige dieser „Vordenker“-Porträts aus dem Buch vor. Bisher erschienen in dieser Reihe: Irenäus Eibl-Eibesfeldt (JF 45/12), Arthur Koestler (JF 46/12), Ludwig von Mises (JF 47/12), Martin Mosebach (48/12) und Günter Rohrmoser (JF 49/12).

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