© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/12 - 01/13 / 21./28. Dezmber 2012

Die Welle aus dem Süden rollt
Bevölkerung: Angesichts der wirtschaftlichen Lage in Südeuropa rechnen Experten in den kommenden Jahren mit bis zu 2,2 Millionen Einwanderern
Christian Schreiber

Die wirtschaftlichen und sozialen Spannungen in der Europäischen Union verschärfen sich. Und die Krise hat massive Auswirkungen für Deutschland, dem eine der größten Einwanderungswellen seit Jahrzehnten bevorsteht. Im zu Ende gehenden Jahr dürfte die Zahl der Einwohner um 389.000 zugenommen haben. Doch das könnte erst der Anfang sein: Bis 2017 werden bis zu 2,2 Millionen Menschen zusätzlich nach Deutschland kommen.

Das geht laut Manager Magazin aus einer Prognose des Wirtschaftsforschungsinstituts „Kiel Economics“ hervor. Danach sei der Zusammenhang zwischen der Finanzkrise in der Euro-Zone und der Wanderungsbewegung nicht übersehbar. So war der Zuwachs aus den finanzwirtschaftlich geschwächten Staaten Griechenland, Spanien und Portugal besonders auffällig. Aus Griechenland kamen bis Juli 15.838 Menschen in die Bundesrepublik, das waren 78,2 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2011. Aus Spanien zogen 11.129 Personen und damit 53,4 Prozent mehr nach Deutschland. Um mehr als 53 Prozent ging die Zahl der Einwanderer aus Portugal hoch: um 2.000 auf 5.776.Wie das Manager Magazin berichtet, soll die Zuwanderungswelle ihren Höhepunkt im Jahr 2014 erreichen, wenn die Zuwanderung die Abwanderung um 506.000 Personen übertreffen werde.

Die Kieler Wirtschaftsforscher erklären die hohe Zuwanderungsdynamik mit der extrem schwierigen Lage auf den Arbeitsmärkten in Ländern wie Griechenland, Spanien und Portugal. Zwar sei mit einer Stabilisierung der südeuropäischen Volkswirtschaften zu rechnen, aber das weiterhin schwache Wachstum werde in den kommenden fünf Jahren nicht ausreichen, um die Arbeitslosigkeit spürbar zu senken. Dagegen ist Deutschland aufgrund seiner vergleichsweise niedrigen Arbeitslosigkeit immer noch attraktiv für Zuwanderer. Zudem herrscht in vielen Regionen und Branchen Arbeitskräfteknappheit, so daß Wirtschaftsvertreter schon seit Monaten eine gezielte Einwanderung fordern. Offenbar mit Erfolg: „Zuletzt hatten wir eine vergleichsweise starke Zuwanderung in den Jahren 1990 und 1991“, sagte Carsten-Patrick Meier von Kiel Economics der Frankfurter Rundschau. „Damals kamen pro Jahr 600.000 bis 700.000 Menschen nach Deutschland, zwischen 1988 und 1997 stieg die Bevölkerung um acht Prozent.“ Von einem so hohen Zuwachs ging Meier in den nächsten Jahren allerdings nicht aus. Abgesehen vom positiven Effekt für die Wirtschaft, daß freie Arbeitsplätze besetzt werden können, gebe es aber auch negative Folgen. „Der jetzige Lohn- und Preisauftrieb aufgrund der leergefegten Arbeitsmärkte wird etwas abgemildert“, sagte Meier.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts zogen im ersten Halbjahr 2012 501.000 Menschen in die Bundesrepublik – das waren 15 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Wegzüge abgerechnet, ergab sich ein Saldo von 182.000 Zuzüglern, 35 Prozent mehr als im Vorjahr. Die meisten kommen aus Staaten der Europäischen Union (306.000). Dies ist eine absolute Trendwende, galt Deutschland doch bisher als Auswanderungsland mit schwindender Bevölkerung. Die meisten Einwanderer kamen bisher aus Polen, dieser Trend könnte sich allerdings künftig verändern.

Neben den wirtschaftlichen Aspekten stellt sich auch die Frage des Zusammenlebens zwischen der einheimischen Bevölkerung und Zuwanderern. Bisher hält sich die Begeisterung in engen Grenzen. Zwar hält die Mehrheit bei einer Emnid-Befragung im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung Deutschland für ein attraktives Einwanderungsland. Ob Zuwanderung dem Land schadet oder nutzt, bewerten die Deutschen jedoch zwiespältig. Deutlich wird dabei vor allen Dingen: Je jünger die Befragten, desto mehr schwinden die Vorbehalte gegen Zuwanderer. Im Durchschnitt sind die Deutschen allerdings hin und her gerissen, ob Zuwanderung eher nutzt oder schadet. Zwar werden bei der Umfrage Vorteile für den Arbeitsmarkt erwartet, allerdings gibt es auch kritische Stimmen. So sind knapp zwei Drittel der Befragten der Meinung, Zuwanderung führe zu zusätzlichen Belastungen in den sozialen Sicherungssystemen, zu Konflikten mit Einheimischen und zu Problemen in den Schulen.

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