© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/13 / 04. Januar 2013

Intensive Diskussion über letzte Fragen
Lebensschutz: Über Koalitionsgrenzen hinweg diskutiert der Bundestag über eine gesetzliche Regelung der Sterbehilfe
Ekkehard Schultz

In den Niederlanden trat 2002 eine Regelung in Kraft, die europaweit für Schlagzeilen und lebhafte Diskussionen sorgte. Denn mit dem vom Parlament beschlossenen „Gesetz zur Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und Hilfe bei der Selbsttötung“ wurde erstmals die sogenannte aktive Sterbehilfe außer Strafe gestellt. Seither wird auch in Deutschland über das Thema Sterbehilfe gestritten und debattiert, nachdem es zuvor über viele Jahrzehnten aufgrund der historischen Belastung durch die Zeit des Nationalsozialismus als faktisches Tabu galt. Denn es herrscht die Befürchtung, daß es auch hierzulande zu einer verstärkten Betätigung von sogenannten kommerziellen Sterbehilfeorganisationen kommen könnte. Solche Vereinigungen, die etwa in den Niederlanden, Belgien und der Schweiz existieren, bieten Möglichkeiten für einen Suizid gegen finanzielle Vergütung an, wenn die Betroffenen dies wünschen.

Um eine solche Entwicklung in Deutschland zu verhindern und Rechtssicherheit zu schaffen, plant die schwarz-gelbe Bundesregierung daher seit längerem eine Neuregelung. Bereits im Juni vergangenen Jahres wurde vom Bundesjustizministerium ein erster Entwurf vorgelegt, der seither mehrfach modifiziert wurde. Danach soll im Strafgesetzbuch (StGB) ein neuer Straftatbestand verankert werden. In Paragraph 217 soll in Absatz 1 die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung ebenso unter Strafe gestellt werden wie im geltenden Paragraph 216 StGB die Tötung auf Verlangen. Nach Absatz 2 sollen allerdings Angehörige oder andere dem Suizidwilligen „nahestehende Personen“, die sich lediglich als nicht gewerbsmäßig handelnde Teilnehmer an der Tat beteiligen, von der Strafandrohung ausgenommen werden.

Doch gerade diese Formulierung wird auch von zahlreichen Unionsabgeordneten kritisiert, da sie einen zu großen Interpretationsspielraum zulasse. Dies zeigte sich nicht nur bei der ersten Lesung des Entwurfes im Bundestag, Ende November. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende und Fraktionschefin in Rheinland-Pfalz, Julia Klöckner, monierte in der Welt, daß die Konzentration auf die „kommerzielle Sterbehilfe“ nicht ausreiche. Denn nach ihrer Ansicht zeichne sich bereits ab, daß sich Sterbehilfeorganisationen tarnen und als Vereine oder sogar gemeinnützige Organisationen auftreten, die keine Rechnungen schreiben, sondern stattdessen Mitgliedsbeiträge erheben würden. Der bisherige Vorschlag nehme diese Organisationen nicht in den Blick, so Klöckner. Drastischer drückte sich der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe (CDU), aus: „Wenn man nur die gewerbsmäßige Sterbehilfe verbietet, ist das ähnlich, wie das Falschparken auf dem Mars zu verbieten.“

Auch der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, hatte mehrfach massive Kritik an dem Entwurf geäußert. Insbesondere der Passus, „mit dem Ärzte und Pflegekräfte womöglich straffrei gestellt werden könnten, wenn sie einem nahestehenden Sterbewilligen beim Suizid hälfen“, sei „unhaltbar“ und müsse daher unbedingt gestrichen werden. Denn es sei widersinnig, wenn „einerseits die gewerbsmäßige Sterbehilfe verboten“ werde und gleichzeitig Ärzte – unter den Bedingungen der Gewerbsmäßigkeit – doch „Beihilfe dazu leisten“ dürften.

Dagegen verteidigte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) den Vorschlag. Mit dem Verbot der kommerziellen Sterbehilfe werde „ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung“ getan. Weiter dürfe man jedoch nicht gehen. Denn für die Liberalen spiele „das Recht auf Selbstbestimmung“ auch dann „eine zentrale Rolle, wenn es um die ethisch besonders sensible Frage des Suizides geht.“ Gerade deswegen müßten dabei „auch die ehrenamtlichen Helfer in einer extrem schwierigen Lebenssituation“ straffrei bleiben. Ähnlich äußerte sich auch Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP).

Dagegen führt für den Grünen-Politiker Jerzy Montag bereits der jetzige Vorschlag zu einer Einschränkung der Rechte der eigentlich Betroffenen. Zum „staatlichen Schutzauftrag“ gehöre es, „die Entscheidung, seinem Leben ein Ende zu setzen, von organisierter Fremdbestimmung und Beeinflussung frei zu halten“, argumentierte Montag. Zudem zweifelt er die Begründung der Neuregelung an. Eine tatsächliche Zunahme der Aktivitäten von Sterbehilfeorganisationen in Deutschland sei „nicht nachweisbar“.

Auch in der Expertenanhörung zum Entwurf, in der letzten Sitzungswoche vor Weihnachten im Rechtsausschuß des Bundestages, zeigte sich in der Frage der Sterbehilfe die große Heterogenität der Postionen. So betonte Eugen Brysch, Vorstand der Patientenschutzorganisation „Deutsche Hospiz Stiftung“, daß der Bundestag erst einmal die grundsätzliche Frage beantworten müsse, „ob er eine organisierte Sterbehilfe will“. Generell handele es sich bei der Sterbehilfe „nicht nur um ein rechtspolitisches, sondern auch um ein pflegepolitisches Problem“, sagte Brysch. Ebenso stellte auch der Palliativmediziner Rainer Freynhagen diesen Aspekt in den Vordergrund. Nach seiner Ansicht lasse „ein gutes und flächendeckendes Palliativpflegeangebot“ den Wunsch nach Selbsttötung „gar nicht erst aufkommen“.

Dagegen lehnte der Augsburger Strafrechtler Henning Rosenau das Gesetz allein schon aus verfassungsrechtlichen Gründen ab. „Wenn der Suizid nicht strafbar ist, darf auch die Beihilfe nicht strafbar sein“. In Anbetracht dessen, „daß man das Leben nicht gegen den Willen des Suizidwilligen schützen“ könne, fehle es schlicht „an einem Schutzgut für die strafrechtliche Verfolgung“, betonte Rosenau.

Jegliche Bestrafung der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung lehnt Rosemarie Will von der Humanistischen Union ab. Eine dahingehende Regelung sei gesellschaftspolitisch verfehlt, urteilte sie. Schließlich zähle zum grundgesetzlichen Schutz der Menschenwürde neben dem Recht auf Leben auch das auf einen würdigen Tod. Die Begründung des Gesetzentwurfes negiere dies vollständig, kritisierte Will.

Ende Januar steht der Gesetzentwurf erneut auf der Tagesordnung des Bundestages. Die Abstimmung im Bundesrat ist bereits für den 1. März geplant. Angesichts der so unterschiedlichen Ansätze forderten Politiker aus den Regierungsparteien, aber auch von Grünen und SPD, für diese Abstimmungen den Fraktionszwang aufzuheben.

Foto: Von Lebensschützern aus Protest gegen den Paragraphen 217 verschickte „Todes-pille“: Organisierte Fremdbestimmung und Beeinflussung

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