© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/13 / 04. Januar 2013

Die Angst vor dem nächsten Anschlag
Reportage aus Südthailand: Tägliche Anschläge radikaler Islamisten halten Bevölkerung in Atem / Mönche und Lehrer als Zielscheibe des Terrors
Hinrich Rohbohm

Surachart sieht sich um. Zügig läuft der 35jährige auf dem Bürgersteig der Nong-Chik-Straße von Pattani auf die schützende Markise eines Restaurants zu. Einer der vielen Regenschauer kündigt sich an. „Das wird noch einige Tage weiter so regnen“, sagt er und lächelt. Es ist nur ein schmales Lächeln. Zu sehr überwiegt die Angst in ihm. Als Buddhist gehört er in dem südthailändischen 55.000-Einwohner-Städtchen Pattani zur religiösen Minderheit. 85 Prozent der Einwohner sind Moslems. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht Mord- oder Bombenanschläge den Ort erschüttern.

Seit Jahrzehnten schwelt in Südthailand ein Unabhängigkeitskampf, der von der Separatistengruppe Pattani United Liberation Organization (PULO) geführt wird. Die Mitglieder der 1968 in Indien gegründeten Vereinigung wurden in Ausbildungslagern der PLO geformt, die Untergrundbewegung gilt als die militanteste Thailands. Ihr Ziel: Die Unabhängigkeit der islamisch geprägten Südprovinzen, die einst eigenständige Sultanate waren. Zwar spaltete sich die Terrororganisation in den neunziger Jahren in drei Fraktionen. Doch die Anschlagsserien haben deshalb keineswegs nachgelassen.

Während sich die PULO früher auf Anschläge gegen Militäranlagen in Südthailand sowie Regierungsgebäude in Bangkok konzentrierte, hat sich ihr Kampf im Laufe der letzten Jahre zunehmend zu einem Religionskrieg entwickelt.

Die Organisation fordert inzwischen die Einführung der Scharia für Südthailand. Brandanschläge auf buddhistische Klöster sowie Attentate auf deren Mönche haben stark zugenommen. Neuerdings sind es die an öffentlichen Schulen unterrichtenden Lehrer, die ermordet werden. In den vergangenen acht Jahren sind mehr als 150 von ihnen umgebracht und ebenso viele bei Anschlägen verletzt worden. 80 Prozent von ihnen waren Buddhisten.

Surachart weiß das nur zu gut. Sein Cousin ist selbst Lehrer in Pattani. „Lehrer zu sein ist bei uns mittlerweile lebensgefährlich“, sagt er deprimiert. Der Staat könne nicht ausreichend für ihre Sicherheit garantieren. Auch deshalb sei der jüngste Anschlag auf den Direktor der örtlichen Thakamsam-Schule Ende November an seinem Cousin nicht spurlos vorübergegangen. „Wir haben Angst“, gibt Surachart unumwunden zu.

Für die Krisenregion wird es zunehmend schwieriger, Lehrer zu gewinnen. Kaum einer möchte sich der Gefahr eines Anschlags aussetzen. Und genau das ist das Kalkül militanter Islamisten. Ihr religiöses Motiv: Moslemische Mädchen sollen nicht gemeinsam mit Jungen unterrichtet werden. Um das zu erreichen, töten sie die Lehrer. „Keine Lehrer, kein Unterricht “, erklärt Surachart.

Keine zwei Wochen nach dem Mord am Schuldirektor, Anfang Dezember, wird ein Soldat bei einem Bombenanschlag in Pattani getötet. Fünf seiner Kameraden werden verletzt, zwei davon schwer. Eine selbstgebastelte 20-Kilo-Bombe war auf der Straße explodiert.

„Die Täter werden für das Bombenlegen bezahlt“, erzählt ein Soldat. Islamisten würden so ihre Beteiligung am Anschlag verschleiern. „Daß Problem ist, du weißt nicht, wo als nächstes eine Bombe hochgehen wird“, sagt ein Offizier der thailändischen Armee. Die Terroristen seien gut vernetzt, schmierten Politiker, Beamte und Polizisten mit hohen Geldsummen, um im Gegenzug von ihnen zu erfahren, welche Gegenden zu welcher Zeit unbewacht sind, um unbemerkt Sprengsätze zu deponieren.

„Anschläge geschehen in Pattani, Yala und Narathiwat fast täglich“, sagt auch Somchit, eine 49 Jahre alte Inhaberin eines Lebensmittelgeschäfts aus Hat Yai. Vor zwei Jahren ist ihr Bruder bei einem Anschlag in Yala ums Leben gekommen. „Ich hatte ihn zum Essen eingeladen. Und weil er sich deshalb zu uns auf den Weg gemacht hatte, mußte er sterben“, wirft sich die Frau heute noch vor. Obwohl selbst Moslemin, verurteilt sie das Vorgehen der PULO-Gruppen. „Unsere Region wird von der Regierung in Bangkok benachteiligt“, kritisiert sie. Aber das müsse man mit politischen Mitteln ändern statt mit Gewalt. In Pattani, Yala und Narathiwat kommt es im Schnitt zu drei bis vier Anschlägen pro Tag. Insgesamt mehr als 11.000 seit 2004. Über 5.000 Menschen starben, 9.000 wurden verletzt.

Der jüngste Mord am Schuldirektor hat Surachart nachdenklich gemacht. „Vielleicht wäre es wirklich besser, wenn wir von hier weggehen“, seufzt er. In seiner Stimme schwingt Resignation mit. Oft schon habe er mit seinem Cousin darüber gesprochen, dieser hätte ihm vorgeschlagen, mit seiner Familie nach Hat Yai zu ziehen. Die knapp 200.000 Einwohner zählende Stadt ist die größte Südthailands, nur eine Autostunde von Pattani entfernt. Lediglich 30 Prozent der Bevölkerung gehören dort dem Islam an, der Konflikt ist weniger spürbar. Er selbst habe auch schon mit dem Gedanken gespielt.

Doch da ist die kleine Apotheke im Ortszentrum, die Surachart führt und die er nicht aufgeben möchte. Auch sein Cousin will bleiben, obwohl es für ihn als Pädagogen noch weitaus gefährlicher ist. „Er ist ein Kämpfer, der wird sich nicht von hier vertreiben lassen“, weiß Surachart. Sein Cousin sei Lehrer aus tiefster Überzeugung, wolle, daß aus „seinen Kindern“ starke Persönlichkeiten werden. „Wer soll sie denn dazu machen, wenn wir Lehrer einfach vor der Gewalt kapitulieren?“ hatte er ihm einmal gesagt. „Außerdem wissen wir doch gar nicht, ob es auch in Zukunft sicherer in Hat Yai ist. Er spricht von den Anschlägen auf das Lee Gardens Plaza Hotel Anfang April im Zentrum der Stadt. Eine Autobombe explodierte. Über 400 Menschen wurden verletzt.

Die Sicherheitsvorkehrungen wurden danach verschärft, Personenkontrollen vor dem Einkaufszentrum des Lee Gardens Plaza eingeführt. Wachpersonal steht auf der gegenüberliegenden Straßenseite, beobachtet den Eingang. Am Flughafen von Hat Yai sind Soldaten zu sehen. Schon vor dem Betreten wird das Gepäck kontrolliert.

Nach dem Anschlag auf den Schuldirektor in Pattani blieben zudem Hunderte Schulen tagelang geschlossen – aus Protest gegen den mangelnden Schutz. Erst nach Gesprächen mit dem Bildungsminister und einer Fernsehansprache von Premierministerin Yingluck Shinawatra, die zudem persönlich nach Pattani gereist war, um für Vertrauen in die Regierung zu werben, konnte die Situation entschärft werden. Mit der Aussicht auf bessere Bezahlung, mehr Schutzmaßnahmen und Steuererleichterungen für die Lehrer Südthailands versucht die Regierung nun, das Vertrauen in den Staat wiederherzustellen. Seit Anfang Dezember wird wieder unterrichtet. „Aber bis zu den nächsten Anschlägen wird es nicht lange dauern“, ist Surachart überzeugt und blickt mit skeptischer Miene auf die dunklen Gewitterwolken, die sich über die Stadt gelegt haben.

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