© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/13 / 04. Januar 2013

Lockerungsübungen
Solidarität steht allen zu
Karl Heinzen

Während die Bundesregierung noch um eine in der Koalition konsensfähige Version ihres Armuts- und Reichtumsberichts ringt, hat sich die Lobby der sozial Schwachen bereits eine klare Meinung gebildet. Die „Nationale Armutskonferenz“ (NAK), in der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege, Selbsthilfeorganisationen und der Deutsche Gewerkschaftsbund zusammenwirken, präsentierte kurz vor Weihnachten ihren „Schattenbericht“, der ein düsteres Bild der deutschen Gesellschaft zeichnet.

Der Anteil der von relativer Armut betroffenen Menschen an der Gesamtbevölkerung habe sich zwar bei 14 bis 16 Prozent eingependelt. Es müsse jedoch als ein Skandal betrachtet werden, daß die Bundesregierung nichts unternehme, um das Los von bis zu 13 Millionen sozial deklassierten Menschen zu verbessern. Nicht zu akzeptieren sei ferner, daß nahezu jeder vierte Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor beschäftigt ist und 7,6 Millionen Bedürftige staatliche Leistungen in Anspruch nehmen müssen, um wenigstens ihr Existenzminimum sichern zu können.

Mag auch an den Fakten nicht zu zweifeln sein, so ist doch die Kritik der NAK, daß die „Armut politisch gewollt“ sei, überzogen. Wenn es möglich wäre, daß alle Bürger am Wohlstand partizipierten, würde es sicher keine Regierung geben, die dies absichtlich hintertriebe. Leider läßt unsere Wirtschaftsordnung solches jedoch nicht zu. Ihr Ziel ist die Rendite des eingesetzten Kapitals und nicht die Bedürfnisbefriedigung der Massen. In einer globalisierten Ökonomie können soziale Standards nicht einfach willkürlich in Deutschland festgelegt werden. Sie ergeben sich vielmehr aus der erbitterten Konkurrenz der Arbeitnehmer um knappe Arbeitsplätze weltweit. Wenn die Bundesregierung verkündet, daß sinkende Reallöhne „Ausdruck struktureller Verbesserungen am Arbeitsmarkt“ seien, ist dies somit kein Zynismus, sondern tatsächlich eine Erfolgsmeldung.

Der Blick sollte aber sowieso nicht immer nur auf einzelne Menschen, die entweder reich oder arm sind, sondern auf das Ganze gerichtet werden: So betrachtet ist unsere Gesellschaft insgesamt, Verteilung hin oder her, wohlhabend. Nur vom Ganzen her kann man zudem dem eigentlichen Inhalt des Begriffs der Solidarität gerecht werden: Auch die Reichen und nicht bloß die Armen dürfen sie für sich einfordern.

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