© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/13 / 04. Januar 2013

Wenn die Seifenoper warten muß
In Lateinamerika werden staatliche TV-Sender immer hemmungsloser zu Propagandazwecken mißbraucht
Michael Ludwig

Die Abneigung der argentinischen Präsidentin Cristina Fernandez Kirchner gegen die Presse des Landes hat es in sich – bei jeder sich bietenden Gelegenheit legt sie sich mit der einflußreichen oppositionellen Tageszeitung Clarin an, und ihren Gefolgsleuten macht es sichtlich Spaß, bei Auslandsreisen der Regierungschefin Streichholzbriefchen mit dem Aufdruck „Clarin lügt“ zu verteilen.

Pressekonferenzen hat Kirchner schon seit Jahren nicht mehr gegeben, eine Gepflogenheit, die sie von ihrem Vorgänger, ihrem inzwischen verstorbenen Ehemann Nestor, übernommen hat. Dennoch ist die Annahme falsch, Medien seien insgesamt für Cristina Fernandez an sich ein rotes Tuch. Im Gegenteil – nichts liebt sie mehr, als im Fernsehen aufzutreten.

Der Unterschied ist, daß sie dazu die Kanäle der staatlichen Anstalten nutzt, beispielsweise die von TV Publica, den Parlamentssender Camara de Diputados oder TN24Horas, dessen Programm übrigens live ins Netz gestellt wird. Hier stellt kein Journalist lästige Fragen, die Kameraführung ist wohlwollend (Frau Fernandez ist eine ausgesprochen eitle Frau, die nur aus der günstigsten Perspektive gefilmt werden will) und die Zeit, die ihr eingeräumt wird, ist unbegrenzt.

Ihre TV-Auftritte sind gewissermaßen Heimspiele. Besonders verführerisch ist es für die politisch links ausgerichtete Regierungschefin aber, auf ein Gesetz zurückzugreifen, das ihr das Recht einräumt, bei wichtigen Mitteilungen nicht nur die staatlichen, sondern auch die privaten TV-Sender zur Übertragung ihrer Reden einzuspannen.

Etwa den Nachrichtensender Todas Noticias der ihr verhaßten Clarin-Gruppe. Kürzlich geschah das innerhalb von fünf Tagen dreimal. In ihrer nun schon ein Jahr dauernden zweiten Amtszeit mußten die kommerziellen Sender elfmal Cristina Fernandez ausstrahlen. Diese Häufung nervt nicht nur die kritischen Journalisten, sondern auch viele Argentinier, die entweder dem hochfahrenden Regierungsstil der Präsidentin nichts abgewinnen können oder sich darüber ärgern, daß ihre Lieblingssoap unterbrochen wird.

Natürlich läßt die Kritik nicht auf sich warten. Viele Kommentatoren werfen der Präsidentin vor, ihre mediale Macht zu mißbrauchen. Hin und wieder sind ihre Stellungnahmen wichtig, beispielsweise als sie im Frühjahr die Enteignung des spanischen Mineralölkonzerns Repsol in Argentinien bekanntgab und dabei den Madrider Wirtschaftsminister Luis de Guindos aufgrund seines spärlichen Haarwuchses uncharmant als „Glatze“ bezeichnete, aber eben nicht immer. Meist reduzieren sich ihre Auftritte auf die Eröffnung von Messen in der Hauptstadt Buenos Aires oder in den Weiten der Pampa.

Das öffentlichkeitswirksame Auftreten von Cristina Fernandez ist in den südamerikanischen Demokratien kein Einzelfall. Was dahintersteckt, formuliert Venezuelas Präsident Hugo Chavez so: „Für mich ist das Teil der Kommunikationsstrategie der Regierung.“

Als er einen neuen Betrieb der petrochemischen Industrie eröffnete, erklärte er: „Die privaten Sender sind wieder einmal abwesend. Auch die Tageszeitungen, die sich in den Händen der Bourgeoisie befinden, nehmen an diesen Vorgängen nicht teil, und wenn sie es dennoch tun, dann setzen sie eine kleine Meldung auf die letzte Seite.“

Hugo Chavez, dessen sozialistisch ausgeformtes Regime man nur noch mit großem Wohlwollen als demokratisch bezeichnen kann, gilt als ein absoluter Meister der medialen Selbstdarstellung. Weit davon entfernt, seine TV-Auftritte mit einem noblen Satz wie „Entschuldigen Sie bitte die Unterbrechung“ wie sein kolumbianischer Amtskollege Juan Manuel Santos (16 Übertragungen in zwei Jahren) zu beginnen, ist er in diesem Jahr bereits über 75 Stunden auf dem staatlichen Kanal Venezolana de Television mit Soloauftritten zu sehen gewesen. Hinzu kommen jene denkwürdigen neun Stunden und 49 Minuten am Stück, in denen er am 13. Januar vor dem Parlament einen weiten Überblick über seine politische Tätigkeit gegeben hat, was ihm einen neuen Rekord an Redezeit bescherte. In Caracas wird kolportiert, daß die Liste der öffentlichen Auftritte noch viel länger wäre, wenn ihn seine Krebserkrankung nicht immer wieder zu Auszeiten gezwungen hätte.

Ähnlich wie Chavez in Venezuela verhält sich Staatspräsident Rafael Correa in Ecuador, wenn es darum geht, „die wiederholten Lügen zu widerlegen, die von gewissen Kommunikationsmedien angezettelt werden“. Von 2007 bis 2011 ist er über 1.025 Mal vor die Kameras von Ecuador TV und RTU Noticias getreten, um seine linken Ideen zu verbreiten. Nicht enthalten sind in dieser stattlichen Zahl seine Auftritte in der Sendung „Enlaces Ciudadanos“ (etwa: Verbindung mit den Bürgern), die jeweils drei Stunden dauert und jeden Samstag von staatlichen und privaten Kanälen ausgestrahlt wird.

Und schließlich – was ist mit Kubas Fidel Castro, dem Mann, der mit seinen bis zu zwölf Stunden dauernden Reden die Mehrheit der kubanischen Bevölkerung buchstäblich gequält hat? Er wendet sich heute aufgrund einer schweren Krebserkrankung nur noch mit „Minibotschaften“ an sein Volk. Sie erscheinen im Internet auf der Regierungsseite „Cubadebate“ unter dem Titel „Reflexionen des Genossen Fidel“ und sind lediglich bis zu sechs Zeilen lang. Sie geben seine Sicht der Dinge wieder, einschließlich Lob und Tadel. Wer hätte das gedacht – der Redner mit dem längsten Atem Lateinamerikas ist in Sachen Kommunikation zu einem Minimalisten geworden.

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