© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/13 / 04. Januar 2013

Zwischen Kronjuristen und Erzjuden
Der Publizist Henning Ritter erinnert in Personenporträts an die unwiederbringlich verlorene deutsch-jüdische Symbiose im Wissenschaftsbetrieb
Dagobert Müller

Berlin in seinen Wandlungen bildet so etwas wie die geheime topographische Achse dieses Bändchens: An die dortige Friedrich-Wilhelms-Universität wechselte Carl Schmitt als Professor für Staatsrecht im Herbst des Schicksalsjahres 1933, und drei Dekaden danach sollte Joachim Ritters Sohn sein Studium im Westen der geteilten Stadt aufnehmen, bei Jacob Taubes und dem Religionswissenschaftler Klaus Heinrich.

Anfang 1991, in einer Art Interregnum, als die Deutsche Zeitschrift für Philosophie nicht mehr DDR-Periodikum war und noch nicht Habermas-Forum, gelang es Henning Ritter, seinen ersten und einzigen Aufsatz dort zu plazieren, über Isaiah Berlin. Damals war er schon seit sechs Jahren Ressortleiter für Geisteswissenschaften bei der FAZ, ein Amt, das er bis zu seiner Pensionierung 2008 bekleidete. Zum 1. April 2012 nun hat er sich einen langgehegten Wunsch erfüllt und seinen Wohnsitz an die Stätte seiner jugendlichen Lehrjahre zurückverlegt.

Einfühlsam charakterisiert werden hier drei deutschsprachige Juden (Berlin, Taubes und Hans Blumenberg), ein Widerständler (Heinrich) und ein Kollaborateur (Schmitt) – doch das sind Äußerlichkeiten, die nicht weiterführen. Primär stellt sich die Verbindung zwischen den fünf Porträtierten über die Person ihres Bewunderers her, der jeweils maßgebliche Impulse für seine intellektuelle Prägung von ihnen empfing.

Als erstes trat der als NS-Kronjurist verfemte Schmitt in sein Leben: Der 13jährige Henning begegnete ihm im März 1957 auf Besuch seines Vaters Joachim im Elternhaus, kurz bevor der Staatsrechtler im Münsteraner „Collegium Philosophicum“ einen Vortrag halten sollte. Der Grad der Ächtung läßt sich daran ablesen, daß die Veranstaltung als außeruniversitär deklariert und aus freiwilligen Spenden der Zuhörer finanziert werden mußte. Das eindringliche Reden wie mit einem Erwachsenen plus ein eigenhändiges Widmungsexemplar der subversiven, als harmlose Fabel für Kinder daherkommenden Geschichtsphilosophie „Land und Meer“ (1942) in der bereinigten Fassung von 1954 waren dazu angetan, Ritter junior zu einem „Gefäß jenes Nachruhms“ zu machen, „auf den er [CS] zuversichtlich hoffte“. Der Alte lud den 20jährigen Ritter dann noch zu einem Privatissimum nach Plettenberg ein, bevor es anschließend an die FU ging, zu Taubes, dem „Erzjuden“, dem „Feind“.

Dieser hatte, genau wie Schmitt – mit „Haben wir ein Thema?“ pflegte der seine Besucher zu begrüßen –, eine Schlüsselfrage, nämlich: „Was ist da los?“ Der jüdische Hermeneutiker wollte verstehen, nicht zuletzt Schmitts Entscheidung von 1933. Und als ihm Walter Benjamins verehrungsvoller Brief an Schmitt von 1930 zugespielt wurde – von Benjamins Editoren zunächst unterdrückt –, waren für Taubes die Karten plötzlich neu gemischt, er hatte einen nicht so leicht auszustechenden Trumpf in der Hand.

Scharfsinnig erläutert Ritter Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Schmitts Modell „Politischer Theologie“ und den „nicht weniger reaktionären eigenen Intentionen Benjamins“. Ähnlich „unkorrekt“, wiewohl plausibel, ist auch sein Heranrücken Schmitts, im Kontext der Nationalismusdiskussion, an den russisch-englischen Ideengeschichtler Berlin, der im Gespräch mit Henning Ritter die Zumutungen von Hannah Arendts „Eichmann in Jerusalem“ zurückweist. Joachim Ritters Lehrstuhlnachfolger schließlich, der „Höhlenmensch“ Blumenberg, der die Nacht zum Tag machte, korrespondierte intensiv mit Schmitt zum Problem der Säkularisation. Von Ritter dem Jüngeren angestoßen, erschlossen sich Blumenbergs immenser Begabung als philosophischer Erzähler alternative Wege der Mitteilung, unter anderem in Form eines Zeitschriftenprojekts über „imaginäre Bibliotheken“, deren ungeschriebene Bücher die Phantasie womöglich stärker anregen als die tatsächlich zu Papier gebrachten.

In Henning Ritters Skizzen scheint noch einmal die unwiederbringlich verlorene deutsch-jüdische Symbiose auf, die Großzügigkeit so manches einstmals rassisch Verfolgten, auch ein schwer belastetes Genie wie Carl Schmitt nicht bis zum Ende aller Tage in Acht und Bann zu tun.

Henning Ritter: Verehrte Denker. Porträts nach Begegnungen. Zu Klampen Verlag, Springe 2012, gebunden, 110 Seiten, 16 Euro

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