© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/13 / 11. Januar 2013

Der Unangefochtene
Linke: Gregor Gysi muß zu seinem 65. Geburtstag keine Konkurrenten fürchten
Paul Leonhard

Was wäre aus der SED geworden, hätte es nicht Gregor Gysi gegeben? Einen Mann, der aus einer bürgerlich-kommunistischen Ausnahmefamilie stammt und der alles im Übermaß hatte: Intelligenz, Instinkt, Überzeugungskraft, taktische Finesse. Ohne ihn wäre die Partei in der Bedeutungslosigkeit versunken. So aber ist es dem eloquenten Rechtsanwalt, der am kommenden Mittwoch 65 Jahre alt wird, nicht nur gelungen, das Vermögen der Einheitssozialisten in die deutsche Einheit zu retten, sondern auch die Partei auf einem Zickzackkurs in eine neue Zukunft zu führen. Es zählt zur Tragik der bundesdeutschen Demokratie, daß diese nicht die Kraft hatte, Tabula rasa zu machen und die Staatspartei der untergegangenen DDR kurzerhand zu verbieten. Dann wäre ein Mann wie Gysi wohl ein ordentlicher Rechtsanwalt geblieben.

Die Medien wurden schon bald auf den „begnadeten Vielquatscher“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) aufmerksam. Die Linke habe mit dem „schlauen, mit allen Wassern aggressiver Rhetorik gewaschenen Gregor Gysi einen Mann, den man vorzeigen kann“, schrieb die Welt. Gysi wurde, egal welchen Parteiposten er gerade innehatte, zum Star der Fernseh-Talkrunden. Geschickt spielte er seine Rolle als Anwalt der Mitteldeutschen und aller Eintrechteten.

Gysi ist es „mit einem einzigen faulen Apfel gelungen, einen florierenden Obsthandel zu eröffnen“, hat der Politikwissenschaftler Arnulf Baring einmal zusammengefaßt. Aus der dem Untergang geweiht geglaubten SED wurde in Mitteldeutschland eine Volkspartei, auch der Linkspartei gelangen im Westen Achtungserfolge. Aktuell ist die Linke in elf Landesparlamenten vertreten, verfügt im Bundestag über 76 von 620 Sitzen.

Er sei „optimistisch, zumindest in höherem Alter erleben zu können, wie die PDS auch in den alten Bundesländern die Fünfprozenthürde bei Wahlen überschreiten wird“, schrieb Gysi in seinem 2001 erschienenen Buch „Ein Blick zurück, ein Schritt nach vorn“. Da hatte er gerade den Posten des Fraktionschefs aufgegeben, um schließlich für das Amt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin zu kandidieren und ein halbes Jahr später als Wirtschaftssenator entnervt das Handtuch zu werfen.

„Ihm fehlt die Ausdauer, die Demut vor dem Amt, die Mittelmäßigkeit. Er langweilt sich schnell. Er braucht Abwechslung. Er will den großen Auftritt. Politik jedoch ist das Reich des Immergleichen“, beschreibt der Gysi-Biograph Jens König das Dilemma Gysis. Dem kam die Verwicklung in die Bonusmeilenaffäre wie gerufen, um aus „moralischer Konsequenz“ aus diesem Amt zu scheiden, an dem er zu verzweifeln drohte, weil ihm jegliche „Leidenschaft für die kleinen Kompromisse“ fremd ist. Die „Kärrnerarbeit abseits des Medienspektakels ist Gysis Sache nie gewesen“, so der Chemnitzer Politikwissenschaftler Eckhard Jesse.

Gelitten hat Gysi an den Grabenkämpfen in der Partei und der Reformunwilligkeit vieler Genossen. Aber mehr noch an der langen politischen Isolierung. Mit ihrer „Rote Socken“-Kampagne 1994 hatten CDU und CSU die einzig wirksame Waffe gegen den begnadeten Rhetoriker gefunden. Über „Zeiten der Feme“, als er so etwas wie eine „Persona non grata“ gewesen sei, jammert der harmonie- und anerkennungssüchtige Gysi in seinen Erinnerungen. Theo Waigel und Manfred Kanther hätten ihn nicht einmal gegrüßt, zu anderen habe es eine „Nicht-Beziehung“ gegeben. Wie freute sich Gysi, als Wolfgang Schäuble in seinem 1994 erschienenen Buch Gysi wenigstens erwähnte und ihm bescheinigte, „Gysi kann für sich nicht nur in Anspruch nehmen, intelligent und witzig zu sein, man kann ihm wohl auch nicht vorwerfen, daß die Schlechtigkeit aus jedem seiner Knopflöcher herausschaute“. Das ist lange her. Inzwischen brüsten sich Politiker mit seiner Freundschaft. Auf der Feier zu Gysis 60. Geburtstag standen die Gratulanten Schlange, darunter neben SPD-Politikern wie Klaus Wowereit und Andrea Nahles auch Peter Gauweiler (CSU). 17 kommentierte Gratulationsfotos stehen noch heute auf der Internetseite der Linkspartei.

Seit dem Rückzug des ebenso begnadeten Demagogen Oskar Lafontaine besteht für Gysi auch nicht mehr die Gefahr, jemand aus den eigenen Reihen könnte statt seiner das Auditorium verzaubern. Die Linksallianz ist geschmiedet und er trotzdem wieder unangefochtener Spitzenmann für die Bundestagswahl. Mit dem Bundestag, aus dessen Reihen dem „Meister der Verdrehung“ rhetorisch und intellektuell niemand gewachsen ist, hat er eine öffentlichkeitswirksame Bühne gefunden, auf der er sein Talent entfalten kann. Routiniert und berechnet fährt er Gelächter oder Schmunzeln nicht nur aus den eigenen Reihen ein.

Als Fraktionsvorsitzender muß er sich nicht mit den Mühen der Ebene beschäftigen. Dafür hat er versierte Genossen, die ihm den Rücken freihalten. „Und doch war immer zu erkennen, daß Gysi ein Narziß bleiben würde, ein auf den Effekt oprientierter Politiker der Oberfläche, der Show“, schätzt die Welt ein. So ginge alles seinen sozialistischen Gang, gäbe es nicht jene staatliche Behörde, die hartnäckig auf die schmutzigen Flecken auf Gysis Weste zeigt und nicht müde wird zu behaupten, der Medienstar habe für die Staatssicherheit gearbeitet. Ein Thema, bei dem Gysi meistens die Klagewut überkommt. Für die von der DDR-Vergangenheit kaum betroffene bundesdeutsche Politikerelite ist das kalter Kaffee. Sie wird am 16. Januar wie vor fünf Jahren Schlange stehen – und hoffen, daß ein wenig Glanz auf sie abfällt, wenn Gysi zu seinem 65. empfängt.

Foto: Linksfraktionschef Gregor Gysi: Nach dem Rückzug von Oskar Lafontaine kann ihm in der Partei niemand mehr das Wasser reichen

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