© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/13 / 11. Januar 2013

„Da baut sich eine Menge Frust auf“
Polizistenalltag: Sie werden beleidigt, getreten, geschlagen – und zu häufig auch noch von der politischen Führung im Stich gelassen
Hinrich Rohbohm

Er war Polizist aus Überzeugung. Daß er heute mit 48 Jahren schon im Ruhestand ist, hätte sich Klaus Bergmann (Name von der Redaktion geändert) vor zwanzig Jahren überhaupt nicht vorstellen können. „Irgendwann fragst du dich, was soll das alles eigentlich noch.“ Frust und Enttäuschung haben sich tief in seine Polizistenseele gegraben. Für Ordnung sorgen. Für Recht und Sicherheit eintreten. Mit diesem Anspruch hatte er vor mehr als 25 Jahren seinen Dienst angetreten. Die Jahre haben an ihm genagt. So manches Mal habe er in seinem Berufsleben etwas auf die Knochen bekommen. „Zu Beginn meiner Laufbahn war die Arbeit noch einigermaßen okey“, sagt er. Doch die Zeiten hätten sich geändert. Angriffe auf Polizisten haben im Laufe der Jahre stetig zugenommen, deren Personalstärke und ihr Rückhalt in der Politik dagegen abgenommen.

Vor allem letzteres macht Bergmann wütend: „Ich würde mir wünschen, daß unsere Politiker uns ein Mindestmaß an Vertrauen entgegenbringen. Wenn irgendwo eine Klopperei im Gange ist, dann ist es doch unsere Pflicht einzugreifen, notfalls auch mit Gewalt. Wenn wir dann aber außer den Schlägen der Täter auch noch Nackenschläge von der Politik einstecken müssen, baut sich Frust auf“, klagt er.

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte heißt die Straftat im Juristendeutsch, wenn Polizisten im Einsatz angegriffen werden. Und das passiere keineswegs nur auf Demonstrationen oder bei spektakulären Einsätzen gegen hartgesottene Kriminelle. „Gewalt gegen Polizisten erfolgt längst auch in Routine-Einsätzen, bei einer Ruhestörung, einer Familienstreitigkeit oder einem Verkehrsunfall“, schildert Bergmann. „Man fragt einfach nur, was los ist, und schon wird man angegriffen. Das geht ganz schnell.“

Die Dienstabläufe bei solchen Einsätzen sind langwierig und zäh. Schon bei einem simplen Familienstreit seien die Kollegen oft überfordert. „Wenn das da eskaliert und ich es zum Beispiel mit so einem tätowierten Muskelprotz zu tun bekomme, der schon mal fünf Jahre im Knast gesessen hat, läuft gar nichts. Erst recht nicht, wenn du dann noch mit einer Kollegin gemeinsam auf Streife bist, die eher hübsches Model als kampferprobte Polizistin ist“, erzählt Bergmann über Erfahrungen aus der Praxis. Er wolle nicht falsch verstanden werden. „Frauen im Streifendienst sind sicherlich nicht zimperlich, aber mit den meisten von ihnen ringe ich im Ernstfall keinen Schläger um, der schon mehrere Jahre Haft hinter sich hat.“ Natürlich gebe es auch eine Menge weiblicher Polizisten die „ganz schön was drauf“ hätten und vor denen Bergmann den Hut ziehe. „Aber es gibt eben auch viele, von denen kaum Hilfe zu erwarten ist, wenn es zu handfesten Auseinandersetzungen kommt.“

Lange Anfahrtswege und zuwenig Einsatzwagen würden dazu führen, daß zuviel Zeit verstreicht, ehe Verstärkung eingetroffen ist. „Dann bleibt einem vorerst nur der Rückzug“, so Bergmann. Ist die personelle Unterstützung dann vor Ort, steht den Beamten oft eine zeitaufwendige Prozedur bevor. Festnahme des Täters, Transport des Gefangenen auf die Wache, einen Bericht verfassen. „Der ganze Ablauf dauert dann erstmal ein bis zwei Stunden“, erklärt Bergmann. Zeit, in der bereits an irgendeinem anderen Ort des zuständigen Bezirks die Kollegen fehlen, wenn es zu einer brenzligen Situation kommt. „Leider derzeit keine Einsatzwagen zur Verstärkung verfügbar, heißt es dann“, erzählt Bergmann von Nächten im Streifendienst.

„Wie wollen Sie an einem Samstagabend in einer Großstadt mit über 500.000 Einwohnern für Recht und Ordnung sorgen, wenn dafür nur 15 Streifenwagen mit jeweils zwei Leuten zur Verfügung stehen?“ fragt Bergmann. In den neunziger Jahren habe zumindest noch die doppelte Anzahl zur Verfügung gestanden, erinnert er sich. „Wenn Kriminelle dann merken, daß die Polizei nicht kommt, kriegen die natürlich Oberwasser“, sagt er. Werden Kollegen im Einsatz angegriffen, müßten sie auch noch eine ausführliche Anzeige schreiben. Das binde dann wieder Zeit und Personal. Und führte dazu, daß immer mehr Kollegen im Ernstfall keine Verstärkung erhalten können und allein den Kopf hinhalten müssen.

Auch Bergmann hatte das am eigenen Leib erfahren. Tritte, Faustschläge. Er spricht von Beinverletzungen, von den zahlreichen blauen Flecken, die er sich während des Streifendienstes zugezogen hatte. Streifendienst, sagt er, das möchte heute kaum noch einer machen. Viele seiner ehemaligen Kollegen wechselten in den Bürodienst, weg von der Straße, weg von der Gewalt. Doch das Hauptproblem seien nicht die Tritte, die Faustschläge, die Beschimpfungen, die Beleidigungen oder die bösen Blicke. Es ist der mangelnde Rückhalt aus der Politik, der oft stärker schmerze als Schnittwunden, Beulen und blaue Flecken, meint der Polizeioberkommissar im Ruhestand.

„Inzwischen ist es gang und gäbe, daß Täter, die niedergerungen werden mußten, später zur nächsten Polizei-dienststelle laufen und eine Anzeige gegen die jeweiligen Beamten stellen“, meint Bergmann. Früher habe es dafür ein einziges Verfahren gegeben, das die Anzeige des Polizisten mit der des Täters zusammengeführt. „Heute ermittelt gegen Sie gleich eine ganze Dienststelle, die für Beamtendelikte zuständig ist.“ Zwar seien die meisten Vorwürfe gegen die Kollegen haltlos. „Aber die Ermittlungen binden natürlich auch wieder Zeit und Personal.“

Immer stärker gerate der Polizist in eine Konfliktsituation. Soll er eingreifen und eine körperliche Auseinandersetzung riskieren, wohl wissend, daß er selbst Verletzungen erleiden kann und zudem mit einer Anzeige, vielleicht sogar einem Verfahren gegen sich rechnen muß? „Man kann sein Gehirn ja nicht in den Spind legen. Viele macht ein Verfahren gegen sich psychisch fertig“, weiß Bergmann selbst nur zu gut. Er erzählt von einem Einsatz vor vier Jahren bei einer türkischen Familie. Eigentlich seien die Beamten nur wegen Ruhestörung gerufen worden. Als sie ankamen, wurden sie mit Faustschlägen begrüßt. „Da wurde eine richtige Klopperei draus“, erinnert er sich. Einen Tag später stellte die Familie eine Gegenanzeige, die Verfahren gegen alle Beteiligten wurden schließlich eingestellt. „Diese Fälle gibt es haufenweise“, sagt Bergmann.

Bei Kollegen, gegen die ein Dienstverfahren laufe, könne zudem eine Beförderungssperre erlassen werden. „Das sollte eigentlich die Ausnahme sein, aber es ist die Regel. Und dann stellen Sie sich mal vor, wenn die dann auch noch an einen linksgrünen Richter geraten. Wenn Sie so etwas mehrmals hinter sich haben, dann wollen Sie einfach nicht mehr“, erklärt der pensionierte Familienvater, der sich inzwischen selbständig gemacht hat.Bergmann macht sich keine Illusionen mehr. „Wenn die Politik wünscht, daß die Polizei zurückgepfiffen wird, dann überlegt sich der jeweilige Polizeipräsident nun mal, wie er das am besten umsetzen kann.“ Seine Erfahrung nach 25 Dienstjahren: Je linker und grüner die Behörden besetzt sind, desto größer ist der Verfolgungsdruck auf Polizisten. Er spricht von Abteilungsleitern mit grünem Parteibuch, die es sich zur Aufgabe gemacht hätten, „äußerst penibel“ gegen die Beamten im Einsatz zu ermitteln.

Zwar ist 2011 auch das Strafhöchstmaß beim Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte von zwei auf drei Jahre erhöht worden. Derlei Maßnahmen hält der Bremer Bürgerschaftsabgeordnete Jan Timke von der Wählervereinigung „Bürger in Wut“ jedoch für nicht ausreichend. Timke, der vor seiner Abgeordnetentätigkeit für das Bundeskriminalamt gearbeitet hatte, forderte bereits 2009, auch die Mindeststrafe für besonders schwere Fälle auf eine einjährige Freiheitsstrafe anzuheben. Als er beantragte, die Bremer Bürgerschaft möge sich bei der Bundesregierung für eine entsprechende Verschärfung einsetzen, wurde sein Antrag von allen Fraktionen inklusive der CDU abgelehnt.

Rechtzeitig zum Wahlkampf hat sich jedoch nun auch die Union zu Wort gemeldet. Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) fordert jetzt eine härtere Bestrafung, verlangt eine „Null-Toleranz-Strategie“ gegenüber den Tätern. Angriffe auf Polizisten spiegelten den Verlust jeder Form von Respekt gegenüber staatlichen Amtsträgern wieder. Schünemann will den Abschreckungseffekt im Strafrecht erhöhen, gar einen eigenen Paragraphen schaffen, der im Falle eines Angriffs auf Einsatzkräfte der Polizei, der Feuerwehr und der Rettungsdienste eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren vorsieht.

2011 ist in fast allen Bundesländern die Zahl der Angriffe auf Polizisten gestiegen (siehe Infokasten). „Die Dunkelziffer dürfte noch weitaus höher sein“, ist Jan Timke überzeugt, denn „längst nicht alles wird zur Anzeige gebracht“. Erst vor kurzem habe es wieder Angriffe von jugendlichen Migranten auf Polizisten in Bremen gegeben. Das Gericht habe Milde walten lassen. Begründung: Die Täter kämen aus einem anderen Kulturkreis.

Klaus Bergmann sieht sich bestätigt: „Ich weiß nur nicht, auf wen ich wütender bin. Auf die Linksgrünen, die für diese Entwicklung verantwortlich sind, oder auf die CDU, die nur Sonntagsreden hält und aus Feigheit und politischer Korrektheit am Ende doch nichts tut.“

 

Gewalt gegen Polizisten

Seit dem Jahr 2011 werden erstmals bundesweit Straftaten gegen Polizisten gesondert statistisch erfaßt. Demnach wurden insgesamt 54.843 Beamte 2011 Opfer einer Straftat. In einigen Bundesländern sind Polizisten besonders gefährdet. So stieg in Berlin die Zahl von Körperverletzungen gegenüber dem Jahr 2010 um 120 Prozent. Etwa 800 Beamte wurden 2011 im Dienst verletzt (plus acht Prozent). In Bayern gab es 6.900 Gewaltakte mit rund 1.900 verletzten Polizisten. In Hamburg wurden im selben Jahr statistisch pro Tag drei Beamte angegriffen. Der Anteil ausländischer Täter ist hier mit 37 Prozent der höchste (bundesweit rund 20 Prozent). In 700 Fällen wurden im Jahr 2011 Polizisten in Deutschland von linksextremen Tätern angegriffen (2010: 455); das entspricht einer Zunahme um 54 Prozent.

Foto: Polizisten beseitigen die Reste einer Barrikade im Hamburger Schanzenviertel (2007): „Gewalt gegen Polizisten erfolgt längst auch in Routine-Einsätzen“

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