© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/13 / 11. Januar 2013

„Hier sind wir sicher“
Autonome Region Kurdistan: Vor allem die kurdische Metropole Erbil bietet verfolgten Christen eine sichere Zuflucht
Günther Deschner

Ich erwarte, daß noch viele Christen hierher kommen“, sagte Romeo Higari, christlicher Abgeordneter aus Erbil, dieser Tage bei einer Umfrage der kurdischen Zeitung Globe. „Wir können nicht hinnehmen, daß christliche Mitbürger nach Europa gehen müssen, wenn sie eine Zukunft haben wollen. Seit 2.000 Jahren leben Christen im Gebiet des heutigen Irak. Es ist auch ihr Land, und sie sollten bleiben.“

Die meisten irakischen Christen sind Chaldäer, Katholiken, die dem Papst folgen. Es gibt aber auch assyrisch-katholische, armenische, griechisch-orthodoxe und andere Gemeinden. In vielen Fällen wäre allerdings – jetzt, im Januar 2013 – statt „es gibt“ ein „es gab“ richtiger: Denn in den zehn Jahren seit dem Sturz Saddams und dem folgenden Zerfall der staatlichen Macht ist die Zahl der Christen dramatisch geschrumpft: Gab es 2003 noch mindestens 800.000, stellen sie heute von den 26 Millionen Irakern kaum noch mehr als ein Prozent.

Dummerweise hatte G. W. Bush seinen Krieg gegen Bagdad als „Kreuzzug“ verkauft. „Er hätte dieses Wort nie benutzen dürfen“, brachte es der Erzbischof von Erbil, Bashar Warda, vor einer britischen Parlamentsdelegation auf den Punkt, die kurz vor Weihnachten die Autonome Region Kurdistan besuchte. „Mit diesem Wort wurden die Christen als fünfte Kolonne gebrandmarkt.“

Schon immer habe es auch in den nordirakischen Kurdengebieten „blühende Gemeinden“ gegeben, so der Bischof. „Die große Mehrheit der Christen lebte aber in Bagdad und Mosul. Erst die nach 2003 einsetzenden Gewaltakte von Gefolgsleuten al-Qaida-ähnlicher Gruppen haben immer mehr christliche Familien gezwungen, zu flüchten.“ Das Beispiel Mosul, das seit zwei Jahren von fanatischen Dschihadisten terrorisiert wird, zeigt die Dramatik besonders deutlich: Von 100.000 Christen sollen heute nur noch fünftausend dort leben.

Der Bischof dankte der kurdischen Regionalregierung vor allem für das aufgelegte „Notprogramm“. Die Hauptstadt Erbil, etwa 80 Kilometer vom Brennpunkt Mosul entfernt, ist zum „sicheren Hafen“ Zehntausender Christen geworden. Die 1,3-Millionen-Metropole beherbergt allein im Vorort Ankawa an die 50.000 in den letzten Jahren zugezogener Christen.

Vor diesem Hintergrund bekräftigt Kurden-Präsident Masud Barsani die Fortsetzung der Unterstützung und appelliert nachdrücklich an die Verantwortung der Regierung in Bagdad. Ob aber der Auftritt von Iraks Regierung-schef Nuri al-Maliki Mitte Dezember bei der Wiedereröffnung der durch einen al-Qaida-Anschlag schwer beschädigten syrisch-katholischen Kathedrale von Bagdad in diesen Kontext gehört? Der Premier hatte hier seine Landsleute beschworen, „alles zu unterlassen, was Christen zur Auswanderung ermutigen könnte“. Er habe, so Maliki, „den Papst gebeten, die Christen zum Verbleib in ihrer Heimat aufzurufen. Ansonsten drohe der Orient bald ohne Christen zu sein“.

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