© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/13 / 11. Januar 2013

Pankraz,
H. Kraft und die Woche des Respekts

In Nordrhein-Westfalen soll es nach dem Willen von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) künftig regelmäßig eine „Woche des Respekts“ geben, um der Moral aufzuhelfen. In einem bärbeißigen, ja richtig grimmigen Interview mit der WAZ zum Jahreswechsel beklagte die Politikerin „den Sittenverfall und den Verlust der Werte“ und nannte auch Schuldige, das Internet zum Beispiel mit seinen „Shitstorms“, das „Mobbing“ unter Kollegen; auch in der Politik, so Kraft mit selbstkritischem Gestus, werde respektvoller Umgang „nicht immer vorgelebt“.

Man darf gespannt sein, ob es nun, wenigstens in NRW, zu einer solchen Woche kommt und wenn ja, wie sie aussehen wird. Respekt ist im Gegensatz etwa zu Toleranz oder Zivilcourage, keine eingrenzbare, lehrbare Tugend, die man ohne viel Schwierigkeit im Ethikunterricht unterbringen kann. Vielmehr handelt es sich um mehrerlei, entweder um eine diffuse Gefühlslage oder um eine öffentlich bezeugte Wertschätzung oder Ehrbezeugung, die gewissen verabredeten (oder auch verordneten) Benehmensformen folgt.

Gefühlslage und Verabredung haben wenig miteinander gemein. Zwischen „Ich empfinde Respekt vor ihm“ und „Ich erweise ihm Respekt“ können Welten liegen. Mit Moral haben beide zunächst einmal nichts zu tun. Man kann gegebenenfalls (wenn auch widerwillig) abgefeimten Halunken Respekt erweisen, und von der Regierung oder sonstwie „von oben“ verordnete Respektsbezeugungen können völlig moralfrei, ja unmoralisch sein. Spontan erweist man am häufigsten übergeordneten Autoritäten Respekt, den Eltern, den Lehrern, den Mächtigen in Ämtern und Medien.

Nicht leicht voneinander zu unterscheiden sind öffentlich bezeugter Respekt und Höflichkeit. Der Höfliche nimmt sich selbst an vielen Fronten sorgsam zurück, überläßt dem anderen das Terrain. Ist der andere ebenfalls höflich, ergibt sich ein leeres, von allen persönlichen Antrieben freigemachtes Glacis, auf dem sich sachlich und optimal, wenn auch manchmal recht umständlich, miteinander umgehen läßt. Formen des Grüßens und Abschiednehmens gehören hierher, Vermeiden von bestimmten Wörtern und Gesten, Einhaltung der Schamgrenzen, dem Schwächeren Vortritt lassen usw.

War es das, was Hannelore Kraft in ihrer Philippika im Auge hatte? „Das Ende der Höflichkeit markiert den Anfang der Gewalt“, äußerte sie, freilich eher beiläufig. Respekt sei mehr als Höflichkeit. Höflichkeit allein genüge nicht, um ein Gemeinwesen soziabel und erträglich zu halten. Und da hat sie, findet Pankraz, völlig recht. Tatsächlich ist Höflichkeit allein, wie einst Schopenhauer formulierte, „nichts weiter als eine grinsende Maske“; auch für Kenner des Lebens ist es immer wieder ein Schock, wenn sich diese Maske einmal verschiebt und darunter nichts als Haßgesichter oder Visagen der Gleichgültigkeit zutage treten.

Für die großen Moralisten der Aufklärung, John Locke, Montesquieu, Lichtenberg, war es ausgemacht, daß „Nur-Höflichkeit“ auf Dauer zum Untergang jedes Gemeinwesens führen müsse, weshalb es darauf ankomme, sie mit der „Höflichkeit des Herzens“ zu unterfüttern, eben mit dem „Respekt“. Nur-Höflichkeit schmeichle doch nur den Fehlern der anderen; einzig der Respekt liefere die wohltätige Schranke, welche die Menschen zwischen sich errichteten, „um ihre gegenseitige Verschlechterung zu verhindern“ (Montesquieu). Einzig der Respekt befördere Sittlichkeit und Moral.

Respekt – „um die gegenseitige Verschlechterung zu verhindern“! Ein solcher Satz erscheint zwar ziemlich realistisch, aber damit er Wirkung entfalten kann, sollte man ihn vielleicht doch grammatisch ins Positive wenden. Das hieße dann: Indem wir Respekt erweisen, werden wir gewissermaßen zu Erziehern dessen, der unsere Respektbezeugung entgegennimmt. Wir appellieren an das Gute in ihm, an Lebensleistungen, die wir bewundern oder wir artikulieren in aller Vorsicht die Hoffnung, daß er sich unseres Respektes würdig erweise.

Auch in den (leider nicht seltenen) Fällen, wo allen möglichen trübseligen, aber mächtigen beziehungsweise machtvollen Figuren Respekt erwiesen wird, macht das Sinn. Der Gewaltherrscher weiß im Grunde seines Herzens, daß der ihm bezeugte Respekt nicht seiner persönlichen Machtgier gilt, sondern letztlich dem Prinzip der guten Herrschaft, die auszuzüben er vorgibt. Die Bücklinge und Lobhudeleien seiner beamteten Vollzugsorgane bedeuten ihm mit Sicherheit weniger als etwa die Hymnen begeisterter Jünglinge, die an ihn glauben und ihm also ehrlichen Respekt entgegenbringen.

Der Respekt ist eine ganz ursprüngliche, elementare, wenn man will: konservative Kategorie. Das Wort bedeutet „zurückschauen“, es hat direkt mit Rücksichtnahme“ und Bedachtsamkeit („Berücksichtigung“) zu tun. Wer Respekt erfährt, der wird gemessen an dem, was immer war und sich eigentlich von selbst versteht. Und wer Respekt bezeugt, der muß stets bedenken, daß es auch einen Selbstrespekt gibt und daß dieser Schaden nimmt, wenn sein Respekt gegenüber anderen allzu verlogen und rein formal ausfällt, zur bloßen Maske wird.

Aber wie auch immer: Es war jedenfalls überraschend zu lesen, wie eifrig und durchaus auch wortgewaltig eine führende Funktionärin des hiesigen politischen Establishments vom Schlage Krafts für die Rehabilitierung und Wiedererweckung des Respekts in unserer Gesellschaft eintritt. Ob sie ihren Worten auch Taten folgen lassen wird? Doch wie könnte denn die von ihr annoncierte „Woche des Respekts“ aussehen? Werden da die staatlichen Organe angewiesen, mit ihren Konkurrenten, Klienten und Wählern wenigstens einmal eine Woche besonders behutsam, charmant, eben respektvoll umzugehen?

Hoffentlich läuft nicht alles bloß wieder auf schlichte Höflichkeitsformeln hinaus. Der ersehnten „Höflichkeit des Herzens“, also dem Respekt, wäre damit ein schlechter Dienst erwiesen. Denn der läßt sich schwer erlernen, eine Woche genügt bei weitem nicht.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen