© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/13 / 11. Januar 2013

CD: Pop
Aufgesetzte Exzessivität
Georg Ginster

Es gibt Bands, die den Eindruck vermitteln, als reduziere sich ihr kreatives Potential auf einen gelungenen Song, den sie fortan mal in gleichbleibender, mal aber auch in nachlassender Qualität stets aufs neue variieren. Nicht selten stützt sich die Aussage, daß man es mit einem unverwechselbaren Sound zu tun habe, bloß auf dieses Manko.

Auch auf das kanadische Duo Crystal Castles scheint dies leider zuzutreffen. Mit dem Titel „Not in Love“ auf ihrer zweiten CD ist ihre Entwicklung offenbar bereits abgeschlossen gewesen. Dieser erzielte aber eigentlich vor allem deshalb Beachtung, weil ihm Robert Smith von The Cure seine Stimme geliehen hatte. Bedauerlicherweise handelte es sich zudem auch bloß um die Cover-Version eines längst vergessenen Songs einer den Glam Rock persiflierenden Band aus den frühen 1980er Jahren.

Die neue CD, „(III)“ (Polydor/Universal), walzt den Hit zur Masche aus. Immerhin ist ihr zugute zu halten, daß sie das Leiden an der Welt im urbanen Milieu ansiedelt, dort also, wo es heute auch beheimatet ist. Damit hebt sich Crystal Castles wohltuend von all den neoromantischen Hui-Buh-Musikanten ab, die Wahnsinn, Schauder und Tod in Spukschlössern, Burgruinen oder Urwäldern suchen. Die beiden Musiker, Ethan Kath und Alice Glass, inszenieren sich als besessene, konturenlose Kunstfiguren und mixen naive, abgehackt und mit Hall vorgetragene Popmelodien, stampfende Bassdrums, minimalistisches Elektronikgefiepse aus der Klangwerkstatt der Computerantike undKracheinbrüche in wechselnder Dosierung zu Tracks, die die Zuhörer auf Distanz halten. So aggressiv, humorlos und brachial die Band auch daherkommt, verliert sie sich letztendlich in Harmlosigkeit. Beklemmung, Angst und existentielle Verzweiflung sind hier Phänomene des Ausnahmezustandes und nicht des alltäglichen Lebens. Die Zuhörer müssen sich nicht betroffen fühlen.

Das bemühte Zurschaustellen eines Hangs zur Selbstzerstörung hat in der Popkultur eine lange Tradition. Stilbildend und besonders ideenreich war hier Iggy Pop mit seinen legendären Darbietungen des Scherbenbades als Leadsänger der Stooges und einer abwechslungsreichen Drogenkarriere, die er ein Stück weit im Schlepptau von David Bowie durchlaufen konnte.

Nachhaltig und stetig an seinem Erfolg gearbeitet zu haben, läßt sich ihm nicht nachsagen. Sein Ruhm gründet dabei eher weniger in seiner Musik, sondern in seinem Status als Original, als Winnetous mißratener Erbe, der mit entblößtem Oberkörper mal mit Grabesstimme zu akustischer Gitarre Balladen vorträgt, mal aufgekratzt in Videos zu Mainstreamrock zwischen Abrißbirnen hüpft.

Im vergangenen Jahr hat Iggy Pop das Pensionsalter erreicht, und wollte, wie so viele Altmeister des Exzesses, nicht der Versuchung entsagen, sich auch einmal an dem zu versuchen, was euphemistisch als gediegene Unterhaltungskunst ausgegeben wird. So ist er mit der aktuellen CD „Après“ (Thousand Mile Inc) nun also bei der Salonmusik angekommen, lebt sein Faible für Chansons und schnulzige Evergreens hemmungslos aus. Dabei klingen die meisten auch in seiner Bearbeitung so kitschig und unerträglich wie das Original, das man heute ansonsten nur noch auf Geburtstagen im Wohnstift zu hören bekommt.

Crystal Castles, III Polydor (Universal), 2012 www.universal-music.de

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