© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/13 / 11. Januar 2013

Was sich neckt, das liebt sich
Sakralkunst und Kunstsakralisierung: Das Richard-Wagner-Jubiläumsjahr nimmt Fahrt auf / Er wird verdreht und verwüstet, verzichten will man nicht
Sebastian Hennig

Richard Wagner (1813–1883) war Musiker, Philosoph, Dichter, Rebell und Kulturpolitiker und hat sich in keiner dieser Stellungen länger verschanzt gehalten. Viel ist vom defekten Charakter eines begnadeten Künstlers die Rede. Dabei hatte er gar keinen Charakter. Solche Mätzchen hat er sich abgewöhnt, wie ein Fakir, und damit ein Grundproblem der abendländischen Kunstmisere an sich erfolgreich therapiert.

Anders als Goethe, den seine Weltschau en gros und en detail zuletzt jeder Menschelei enthob, ist es bei Wagner das Schaupielergeblüt, die professionelle Unaufrichtigkeit und Verstellungskunst, die ihn zur Entwerdung seiner selbst im Heiligtum der Kunst geleitete. Er ist nicht spätromantisch, sondern die erfolgreiche und folgenreiche Überwindung einer regressiven Romantik.

Wagner beginnt ja nicht bei Wagner. Die rauschende Krone seines Werkes wurzelt tief und fein verzweigt. Über Gluck, Mozart, Beethoven und Weber äußert er sich apologetisch. Er begründet eine Sakralkunst und Kunstsakralisierung, die noch, oder gerade heute, nachvollziehbar ist. Ein allesverzehrender Feuerball ist mit seiner dramatischen Musik, seinem musikalischen Drama aufgestiegen. Musik und Theater stehen fortan im glühenden Schatten dieses glasklaren Wahnsinns. Richard Wagner ist Ressentiment, Heroismus, Raffinesse, Naivität und Durchtriebenheit. Er ist listenreicher Odysseus, weiser Nestor und tollkühner Ajax in einer Person.

Die technische Seite der Wagnerschen Kunstausübung ist bedeutungsvoll. Er hat Orchester und Sänger so ertüchtigt, daß diese Stimme die Eisenbahnen, Flugzeuge, das Kino, selbst Atomwaffen, Bombenterror und Vernichtungslager übertönt. Alle propagandistischen Vereinnahmungen und Zurückweisungen würden zersplittern an der heroischen Humanität von Wagners Werk, sofern sich diesem unverstellt begegnen ließe.

Wenn sich eine Katharsis wieder auf der Bühne ereignet, würde damit unzweifelhaft dem wirklichen Terror die Spitze gebrochen werden – oder andersherum. Im zweiten Fall bliebe „Das Kunstwerk der Zukunft“ (1849) eine unerfüllte messianische Verheißung und das Theater weiterhin eine öffentliche Verziehungsanstalt.

Wagners permanente Kulturrevolution ist noch lange nicht abgeschlossen. Zum Verhältnis, das die Theaterleute zu diesem Vermächtnis pflegen, könnte man sagen: Was sich neckt, das liebt sich. Wagner wird verdreht und verwüstet, aber verzichten kann und will man nicht auf dieses schärfste Mittel der Bühnenverzauberung. Zwischen die tragenden Säulen moderner Kakophonie und barockem Gefistel schieben sich in diesem Jubiläumsjahr Wagners Werke gewaltig auf die deutschen Bühnen.

Da aber die Einsichten gefürchtet werden, die das dramatische Genie nahelegt, wenn sich sein Zauberreich lückenlos über das Publikum senkt, ist eine Kreativindustrie damit beschäftigt, die Wirkung zu brechen. Man ist bestrebt, die negative Absicht der Deformation zu verschleiern. Also wird das Stück nur geistreich perforiert. Der frivole Zuschauer soll es knicken. Man kann zwischen vergewaltigten oder verdrehten Inszenierungen wählen.

Doch zu den Richard-Wagner-Tagen in Wels finden seit 24 Jahren sogar die Regieanweisungen Wagners Berücksichtigung. Aber die Kapazitäten dieses Privatfestivals sind bemessen. In Chemnitz machte im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends ein „Ring“-Zyklus von sich reden, der ernst genommen werden wollte. Mannheim offeriert als Karfreitags-Zauber „Parsifal“ in der unveränderten Inszenierung von 1957. Die aktuelle Berliner Inszenierung präpariert, freiwillig oder nicht, einige bemerkenswerte Details heraus.

Hilfe kommt von anderswo. Das renommierte Opernfestival Glyndebourne bei Brighton brachte im vergangenen Jahr zum ersten Mal „Die Meistersinger von Nürnberg“ auf die Bühne. In Paris wird im Juni seit sechzig Jahren wieder einmal ein kompletter „Ring“ aufgeführt. Die Oper Erfurt preßt die vier Abende des „Rings“ in einen und läßt dazu Puppen tanzen.

Der Internationale Richard-Wagner-Verband geht auf den 1871 in Mannheim gegründeten Wagner-Verein zurück. Eine Neujahrsgala hat das Festjahr zum 200. Geburtstag des Patrons im Nationaltheater Mannheim eröffnet. Im Mai wird in der Geburtsstadt Leipzig ein Kongreß stattfinden. Entsprechend der zeitlichen Übereinstimmung wird am Völkerschlachtdenkmal Leipzig dessen Anlaß und Einweihung mit Ausschnitten aus „Parsifal“ gedacht. Zum ersten Mal außerhalb Bayreuths erklang 1913 dort diese Musik in der Öffentlichkeit. Mit der Wiederholung wird zugleich das Wave-Gotik-Treffen (17. bis 20. Mai) eröffnet.

Die fruchtbarste Periode seines Schaffens verbrachte Wagner als Kapellmeister in Dresden. In böhmischen Bädern entstand der Textentwurf zu „Der Ring des Nibelungen“, und während einer dreimonatigen Sommerfrische im Dorf Graupa am Eingang zur Sächsischen Schweiz skizzierte er die Musik zum „Lohengrin“. Das wird am 13. Januar auch die erste Wagner-Oper sein, die Christian Thielemann in Dresden dirigiert. Im Liebethaler Grund bei Graupa befindet sich das größte Wagner-Denkmal überhaupt. Dessen Zustand und die verwilderte Umgebung sind symptomatisch für die zeitgenössische Stellung von Richard Wagners Vermächtnis.

Wagners Sterbehaus in Venedig ist die kommunale Spielhölle des ersterbenden Venedig. Bayreuth wurde künstlerisch so kastriert, daß die DGB-Bonzen und BRD-Funktionäre dort ohne anzustoßen paradieren können. Das Museum im Haus Wahnfried ist wegen Umbau geschlossen. Damit befindet sich die größte authentische Wagner-Sammlung in der Reuter-Wagner-Villa in Eisenach. Und die sächsische Kleinstadt Pirna beweist Mut und Unternehmungsgeist mit der Neueröffnung eines Richard-Wagner-Museums im Jagdschloß Graupa am 13. Januar.

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