© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/13 / 11. Januar 2013

Zwischen Nutzwert und Debatte
„Focus“: Das Magazin wird zwanzig / Eine Richtungsentscheidung muß her, um den Abwärtstrend zu stoppen
Ronald Berthold

Als am 18. Januar 1993 der erste Focus am Kiosk lag, erwartete kaum jemand, daß das Magazin den Zeitschriftenmarkt so aufmischen würde. Die Skepsis überwog. Alle Versuche, eine Alternative zum dem sich selbst als „im Zweifel links“ (Rudolf Augstein)verstehenden Spiegel zu etablieren, waren bis dato meist schon im Ansatz gescheitert. Doch mit politisch inkorrekten Titelgeschichten wie „Ausländerkriminalität“ sorgte die in München ansässige Focus-Truppe für Diskussionen und großen Zulauf. Die Auflage näherte sich rekordverdächtig schnell der des Spiegel. Die Jagd auf das arrogante Blatt aus Hamburg war eröffnet. Mit deutlich kürzeren, schick aufgemachten Geschichten revolutionierte der aufstrebende Herausforderer das Bild vom Nachrichtenmagazin. Es war plötzlich nicht mehr angestaubt und selbstgefällig, sondern flott, frech und nicht länger links.

Gründer Helmut Markwort war ein Coup geglückt, den die Branche für unmöglich gehalten hatte. Nicht einmal Axel Springer hatte es gewagt, in Konkurrenz zu Rudolf Augstein zu treten. Markwort zeigte, wie es geht: der schweigenden Mehrheit eine Stimme geben, Geschichten aus einem neuen Blickwinkel betrachten und spannende Enthüllungen liefern.

Das moderne bürgerlich-konservative Image machte das neue Nachrichtenmagazin auch bei den Anzeigenkunden interessant. Konzerne, die im Spiegel inserierten, liefen zum Konkurrenten über. Der Verlag mußte Ende der neunziger Jahre sogar Inserate ablehnen, da sie nicht mehr hineinpaßten. Focus geriet an seine Leistungsgrenze, Umsätze und Gewinne explodierten.

Diese Erfolgsgeschichte klingt für die heutige Redaktion wie ein Märchen. Am 20. Jahrestag seines Stapellaufs befindet sich Burdas Flaggschiff in schwerer See. In die erste Krise geriet das Blatt – wie die meisten anderen Publikumszeitschriften – nach dem Platzen der New-Economy-Blase und den Anschlägen vom 11. September, obwohl es zunächst gar nicht danach aussah. Die Ausgabe über die fallenden New Yorker Wolkenkratzer ist bis heute die bestverkaufte.

Doch nach dem Attentat brachen zunächst die Börsenkurse und dann die Wirtschaft brutal ein. Immer weniger Werbung machte die Hefte dünn, so daß auch der Platz für den redaktionellen Teil schrumpfte. Als die Wirtschaft wieder brummte, kam das Internet groß auf. Die Umsätze wollten nicht wieder anziehen. Die Ausgaben magerten auf 120 Seiten ab. Die überbesetzte Redaktion, für 350-Seiten-Hefte konzipiert, geriet in eine Sinnkrise. Viele Reporter bekamen manchmal monatelang keine Geschichte mehr ins Blatt: Die Frustration in der Mannschaft stieg.

Die Führung reagierte unglücklich: Sie gab auf dem knappen Platz beliebigen Texten den Vorzug. Focus setzte kaum noch eigene Akzente. Die Leser wußten plötzlich nicht mehr, warum sie das Blatt kaufen sollten. Folge: Die Auflage sinkt. Aktuell liegen Einzel- und Aboverkauf nur noch bei 321.000 Stück: Im Vergleich zu 2003 bedeutet dies einen Rückgang bei den beiden wichtigsten Posten um mehr als 40 Prozent. Die Auflage wird durch Freixemplare hochgehalten.

Der Abwärtstrend in diesem Ausmaß ist bedrohlich. Und dieses Problem ist hausgemacht: Im Zeitalter von Online-Vergleichsportalen locken die sogenannten Nutzwert-Geschichten („So schlafen Sie besser!“, „Schlank werden, schlank bleiben“), auf die Focus oft setzt, immer weniger Leser hinter dem Ofen hervor.

Der Verlag verhielt sich wie ein vom Abstieg bedrohter Bundesligist und wechselte die Chefredakteure. Nach 17 Jahren Markwort, an dessen Seite seit dem Start Uli Baur stand, kam 2010 Wolfram Weimer, der das Blatt wieder politischer und intellektueller ausrichtete, aber nach nur 18 Monaten gehen mußte. Nun führte Uli Baur das Magazin allein, übergab das Ruder aber zu Jahresbeginn an den langjährigen Bild-Mann Jörg Quoos (49). Er ist der vierte Chef in drei Jahren und muß Kontinuität bringen. In dieser Woche erschien die erste Ausgabe unter seiner Regie.

Das Heft muß sich auf seine Stärken besinnen. Dies sind herausragende Glanzlichter, die dafür sorgen, daß das Magazin zuweilen zur Kenntnis genommen werden muß. Etwa wenn Focus-Urgestein Michael Klonovsky, seit Herbst 2010 Leiter des Debattenressorts, Themen aufgreifen läßt, über die anderswo nur einseitig berichtet wird, und dazu prononcierte und widerständige Gastautoren ins Blatt holt beziehungsweise gar gleich selber zur Feder greift. Oder wenn andere scharfe Meinungsbeiträge, die quer zur politischen Korrektheit liegen, eine Ausgabe zieren wie zuletzt Anfang Dezember vorigen Jahres ein Stück von Alexander Wendt, Redakteur im Ressort Report, über „Linke Volksgemeinschaft“ und deren Drang, Andersmeinende auszugrenzen („Die Scheuertruppen des Guten“).

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