© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/13 / 11. Januar 2013

Eine zweite Gründung des Staates Israel
Der „Haaretz“-Kolumnist Gershom Gorenberg sieht die Gefahr einer „Selbstabschaffung Israels“
Thorsten Brückner

Der Staat Israel wurde als säkularer Staat gegründet. In den letzten vier Jahrzehnten ist jedoch der Anteil der Juden stark gestiegen, die sich entweder als „nationalreligiös“ oder „ultraorthodox“ bezeichnen. Durch die Regierungsbeteiligung religiöser Parteien haben es diese Gruppen geschafft, sich staatliche Förderung für ihre Bildungseinrichtungen beziehungsweise Unterstützung für den Siedlungsbau im Westjordanland zu sichern. In der Verschränkung von Staat und jüdischer Religion sieht Gershom Gorenberg, der sich selbst als orthodoxer Jude bezeichnet, den Grund für die Selbstabschaffung Israels. Diese Verschränkung äußert sich laut dem Haaretz-Kolumnisten einerseits durch Ultraorthodoxe, die sich bei voller staatlicher Alimentierung sowohl dem Militärdienst als auch säkularen Staatspflichten verweigern, zu denen Gorenberg auch den Besuch einer staatlichen Schule zählt.

Den Nationalreligiösen wirft er vor, durch eine messianisch getriebene Siedlungspolitik im Westjordanland eine Zwei-Staaten-Lösung zu erschweren und somit den zionistischen Traum eines Staates mit dauerhafter jüdischer Mehrheit zu gefährden. Um seine Ansicht zu untermauern, berichtet der Autor von persönlichen Erlebnissen an verschiedenen Orten Israels, die dem Leser nicht nur willkürlich zusammengewürfelt erscheinen, sondern ihm darüber hinaus, sofern er keine Vorkenntnisse über die Geschichte des Staates hat, die Lektüre unnötig erschweren.

Ein roter Faden ist in dem Buch schwer auszumachen. Mal kritisiert der Autor die Siedler, im nächsten Kapitel die Vereinigten Staaten und ihr angeblich undemokratisches Wahlrecht. So überrascht es auch nicht, daß das Buch außer einer Anklage gegen das religiöse Israel keinerlei neue Lösungsansätze enthält.

Eine saubere Trennung zwischen der Gruppe der Ultraorthodoxen und den Nationalreligiösen wäre wünschenswert gewesen. Der Leser bekommt so das Bild eines jüdischen Staates, in dem gerade die Siedler proportional immer stärker werden. Jedoch sind es vor allem die Ultraorthodoxen, die nur einen sehr geringen Anteil der Siedler stellen, die seit Jahren den stärksten Bevölkerungszuwachs verzeichnen und deren Parteien, anders als die der Nationalreligiösen, in den letzten zwanzig Jahren enorm zugelegt haben.

Für eine mögliche Räumung der Siedlungen im Westjordanland greift Gorenberg gar auf totalitäre Konzepte zurück. Der Staat soll demnach bestimmen, wo sich evakuierte religiöse Siedler innerhalb Kleinisraels anzusiedeln haben, um einen Reimport der Siedlungsproblematik zu verhindern und die Siedler nicht „in der Weigerung zu bestärken, die neue Wirklichkeit anzunehmen“. Mit der gegenwärtigen israelischen Politik setzt sich Gorenberg in demselben polemischen Ton auseinander, den man bereits aus Haaretz gewohnt ist und der, wenn man auf die sinkende Auflage der Zeitung sieht, immer mehr Israelis abschreckt.

Auch bei der mehrseitigen Betrachtung des israelischen Außenministers Avigdor Lieberman schreckt Gorenberg nicht davor zurück, seinen Ressentiments freien Lauf zu lassen. Mit keinem Wort würdigt er den nach Lieberman benannten Plan, der einen Bevölkerungstransfer zwischen Israelis und Palästinensern vorsieht und der sogar die Unterstützung von Henry Kissinger erhielt. Stattdessen rückt er Lieberman in die Rassismusecke und wirft ihm vor, in Israel eine Diktatur errichten zu wollen. Da er hierfür leider keine Belege anführt, entziehen sich solche Thesen einer ernsthaften Auseinandersetzung.

Gorenberg schließt mit der Forderung nach einer Neugründung Israels, einer zweiten israelischen Republik, in der Israel Seite an Seite mit einem palästinensischen Staat existiert und in dem Staat und Synagoge getrennt sind, also ein säkularer Staat nach europäischem Muster. Die Frage, wie ein jüdischer Staat ohne Betonung der eigenen Religion und Traditionen in einem immer islamischer werdenden Nahen Osten überleben soll, ist damit freilich nicht beantwortet.

Gershom Gorenberg: Israel schafft sich ab. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2012, gebunden, 316 Seiten, 19,99 Euro

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