© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/13 / 11. Januar 2013

Den Dank des Vaterlandes hat niemand von ihnen erhalten
Ein beachtenswertes Buch des Historikers Gerald Wiemers widmet sich dem frühen demokratischen Widerstand gegen das DDR-Regime
Friedrich-Wilhelm Schlomann

Die heutige politische Öffentlichkeit in Deutschland beschränkt die Geschichte der DDR bei der Wiedervereinigung auf die Bürgerrechtler, die indes nur eine „bessere DDR“ anstrebten – durchweg aber nicht die Einheit. Und über derartige Bestrebungen aus den ersten Jahren nach Kriegsende ist kaum noch zu hören. Man muß allmählich zweifeln, ob es wirklich Zufall ist, daß der damalige Widerstand vieler Studenten und Schüler praktisch totgeschwiegen wird und zusehends in Vergessenheit gerät. Dem Autor Gerald Wiemers ist deshalb großer Dank geschuldet, diesen doch sehr wichtigen Teil der DDR-Geschichte in größerem Maße aufzuhellen.

Die meisten Studenten nach 1945 waren froh, die Schrecken des Krieges überlebt zu haben, sie wußten, ihre Ideale waren mißbraucht worden, was sie um so mehr sensibilisierte. Sie wollten Freiheit, Recht, Menschenwürde in einer Demokratie realisieren, auch unter einer sowjetischen Besatzungsmacht – allerdings nach unseren deutschen Maßstäben!

Sehr bald aber mußten sie feststellen, daß die demokratischen Rechte zwar in den Länderverfassungen der SBZ verbrieft waren, faktisch aber längst nicht mehr existierten. Viele wollten aus Gewissensgründen, aus ihrer demokratischen Gesinnung zur neuen deutschen Diktatur nicht länger schweigen. Oftmals waren es politisch-moralische Gründe, nicht selten entsprachen sie einer sozialdemokratischen Familientradition.

Da eine legale offene Oppostion kaum mehr möglich war, gingen etliche zum illegalen Widerstand über: Der Buchstabe „F“ (als Symbol der Freiheit) sowie Parolen gegen die SED wurden nachts an Mauern und Häuserwände gemalt sowie Flugblätter mit Aufrufen zum Widerstand verteilt – manche waren selber hergestellt, der größte Teil kam jedoch von freiheitlichen Organisationen in West-Berlin und wurde nach Mitteldeutschland geschmuggelt. Verbindungen in den Westen waren äußerst wichtig: Wollte man dort doch über die Zustände in der DDR informieren, den Terror und gerade auch die militärische Aufrüstung.

Die jungen Menschen wußten, was sie taten, und ahnten zumindest die etwaigen Folgen in Form unmenschlicher Strafen. Rund 1.200 Studenten wurden aus politischen Gründen verurteilt, mehrere hundert von ihnen mußten ihre Sehnsucht nach Freiheit, Demokratie, nach Wiedervereinigung mit ihrem Leben bezahlen. Das heutige Deutschland sollte stolz sein auf jene Studenten und Schüler, die für diese Ideale ihre Freiheit und ihr Leben einsetzten. Stattdessen wirken sie allzuoft nur „störend“, ihre Schicksale sind „uninteressant“, so daß man meinen muß, dergleichen hätte es nie gegeben. Deutschland ist in der Behandlung seiner jüngsten Geschichte oft nur sehr schwer zu verstehen, wie das Buch anhand der Darstellung etlicher Zeitzeugen deutlich durchblicken läßt. Schwerpunkt seines Inhalts sind dann auch die Leidenswege jener Gruppen, die sich dem SED-Regime entgegenstellten.

Man denke an den Kreis um den Jurastudenten Arno Esch in Rostock, dessen liberale Reden der neuen Diktatur zu gefährlich wurden. Die Besatzungsmacht der „souveränen“ DDR verhaftete ihn, Esch selber wurde in Moskau erschossen. An der Universität Leipzig erhielt der gewählte Studentenratsvorsitzende Wolfgang Natonek wegen seines freiheitlichen Verhaltens 25 Jahre Zwangsarbeit. Illegal arbeitete dort auch eine Gruppe um Herbert Belter: Dieser wurde zum Tode verurteilt, seine Freunde verschleppte man für mehrere Jahre nach Sibirien.

Erschütternd ist auch die Geschichte des Widerstandskreises um Horst Leißring, der schon in der NS-Zeit sechs Jahre wegen politischen Widerstands im KZ verbrachte. Er meldete politische Verbrechen, besonders Verhaftungen sowie Namen von MfS-Angehörigen und Spitzeln nach West-Berlin. 25 Jahre Zwangsarbeit waren die Antwort der DDR-Gerichte. Das gleiche erhielt das Mitglied Ingolf Klein, der in Bautzen vom Wachpersonal mit Stiefeln zu Tode getreten wurde. Der dritte entkam im letzten Moment seinen Häschern.

Der nach seiner Haftentlassung depressiv gewordene Leißring beging Selbstmord. Manchen hingegen gelang nach ihrer Entlassung die Rückkehr ins normale Leben, die meisten aber leiden noch heute an teils leichteren, oft aber schweren Haftfolgeschäden. Keineswegs wenige haben sich nach all ihren bitteren Erfahrungen in Ost und West aus der Politik völlig zurückgezogen. Einen Dank des Vaterlandes hat praktisch niemand von ihnen erhalten. Ein Buch, das zu tieferem Nachdenken anregt, dem man größte Verbreitung wünscht!

Gerald Wiemers: Der frühe Widerstand in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2012, broschiert, 181 Seiten, 24 Euro

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