© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/13 / 11. Januar 2013

Jetzt erst recht!
Kinder und Selbstverwirklichung: Eine deutsche Familie zeigt, daß das geht – und wie!
Ellen Kositza

Simplify your life“, lautet eine Parole. Vornehmer: Entschlacke dein Leben! Entspann dich, bau den Streß ab! Manchen Menschen glücken solche Rezepte, sie werden damit froh. Georg Cadeggianini verfolgt ein ähnliches Ziel – Glück – auf dem entgegengesetzten Weg. Complicate your life!, das ist seine Parole.

Und so ungefähr geht’s: Wenn du dein Leben als reichlich turbulent empfindest, wenn eigentlich nichts so läuft, wie es die bunten Zeitschriften und Ratgeber vorschlagen, sondern alles viel wilder und unstrukturierter erscheint – dann leg einfach noch eine Schippe drauf! Zeug mit deinem geliebten Menschen noch ein Kind! Zieh mal wieder um, in ein unbekanntes Land! Mach nebenbei den Studienabschluß! Trete eine neue Stelle an! Und keine Sorge, auch diese Lebenserweiterungen werden sich dir anpassen. Oder du dich ihnen. Toll wird es bestimmt!

Cadeggianini und seine Frau Viola sind wohlbehütet im Münchner Speckgürtel aufgewachsen. Dort leben sie immer noch – besser: wieder, in einer kleinen Wohnung mit Wohn- und Schlaf-küche. Die Mittdreißiger, er Journalist, sie Romanistin, haben (gemeinsam!) sechs Kinder. Um genau zu sein: drei große Mädchen und drei kleine Jungs. Mag es auch Familien geben, die ihr Alltagsleben mit Ankunft auch nur eines Sprößlings nicht recht auf die Reihe kriegen, bei den Cadeggianinis überwog stets das „Trotzdem und jetzt erst recht“. Wann, wenn nicht jetzt?

Mit einer Familie in Durchschnittsgröße zogen sie nach Italien, bereits vergrößert nach Edinburgh und später, nun in einer Übergröße, die mancher Betrachter als „unhandlich“ bezeichnen würde, nach Tel Aviv. Jeweils nicht für überschaubare Ferienwochen, sondern auf Zeit. Georg Cadeggianini, Redakteur und Kolumnist bei der Brigitte, hat seine Reise- und Familienerlebnisse sowie seine nachahmenswerte „Verkompliziere dein Leben“-Philosophie in einem Buch („Aus Liebe zum Wahnsinn. Mit sechs Kindern in die Welt“) zusammengefaßt.

Wer auch nur über einen Bruchteil an Kinder- und Urlaubserfahrung verfügt, den wird die Lektüre schütteln – vor Lachen, vor Wiedererkennungseffekt. Muß man sich das antun, heute? Diese Kindermassen? Stets neue Aufbrüche? Wird man nicht zum Sonderling? Darf man eine ausgepolsterte Bananenkiste als Säuglingsbettchen vorsehen? Kinder Kampfjets malen lassen? Außerhalb der Gebührenzone parken, wenn die Frau bereits starke Wehen hat? Billigbier trinken? Nicht, daß die Cadeggianinis sich all das nicht gefragt hätten. Und danach gefragt wurden. Dazu: Will man verwechselt werden mit einem buggyschiebenden Vollvater, mit dem Klischee einer überforderten Mutter? Niemals! „Entscheiden bedeutet immer auch springen“, meint Cadeggianini, „mal ist der Sprung kleiner, mal größer, und mal geht er daneben. Aber es ist immer ein Wagnis, ein Ausbruch aus dem, was sich vorhersehen läßt, aus der eigenen Komfortzone.“ Und siehe: So ein verkompliziertes Leben macht glücklich, es macht lustig, es macht sogar schön.

Ja, „Elternsein ist Mangelverwaltung. Zeit, Souveränität, Aufmerksamkeit, Gelassenheit.“ Arm wird man davon nicht. Ganz im Gegenteil, hier wird’s demonstriert. Lesen, nachmachen, irgendwie!

Georg Cadeggianini: Aus Liebe zum Wahnsinn. Mit sechs Kindern in die Welt. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012, broschiert, 288 Seiten, 9,99 Euro

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