© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/13 / 18. Januar 2013

Streit um die Methode
Katholische Kirche: Kriminologe Pfeiffer gerät wegen Mißbrauchsstudie in die Kritik
Gernot Facius

Der Konflikt schwelte seit langem, doch erst zum dritten Jahrestag der Mißbrauchsenthüllungen am Berliner Canisius-Kolleg wurde er zum – vermeintlichen – Skandal aufgepumpt: „Kirche stoppt Aufklärung“, brüllten Zeitungschlagzeilen. Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) hat dem Hannoveraner Kriminologen Christian Pfeiffer den 2011 erteilten Auftrag für ein Forschungsvorhaben zum Thema „Mißbrauch durch katholische Geistliche“ entzogen – hauptsächlich wegen „Kommunikationsproblemen“, wie sie beteuerte.

Von einem Aufklärungstopp kann indes nicht die Rede sein, denn der Episkopat sucht einen anderen wissenschaftlichen Partner für das ehrgeizige Projekt. „Kirche stoppt Pfeiffer“ hätte es korrekterweise heißen müssen, aber das wäre den Schlagzeilen-Textern zuwenig gewesen, um den von Pfeiffer erhobenen Zensurvorwurf zu transportieren. Der Grund für das Zerwürfnis liegt in divergierenden Auffassungen, wer welche Akten überprüfen sollte, wer von wem zu befragen sei und wie die Ergebnisse veröffentlicht werden sollten; man konnte sich also nicht über Untersuchungsmethoden und Datenschutz einigen. Pfeiffer, dem die DBK eine strafbewehrte Unterlassungserklärung zugestellt hatte, schlug nach einigen Tagen des Nachdenkens versöhnlichere Töne an, wiederholte jedoch die Zensurthese wie den Vorwurf der Aktenvernichtung, was vom kirchlichen Mißbrauchsbeauftragten, Bischof Stephan Ackermann, strikt zurückgewiesen worden war.

Der Würzburger Kriminologe Klaus Laubenthal attestierte seinem Kollegen aus Hannover methodische Mängel. Er bemängelte einen unzureichenden Opferschutz. Vor allem kritisierte er Pfeiffers Vorhaben, die allein aus Akten hervorgehenden Mißbrauchsopfer anzuschreiben. Damit wären sie ungefragt mit den zum Teil Jahrzehnte zurückliegenden schmerzlichen Vorgängen konfrontiert worden. „Forschungsethisch kaum zu rechtfertigen“ nannte der Bochumer Kriminologe Thomas Feltes ein solches Vorgehen. Aus der Opferforschung wisse man, welche negativen Folgen derartige Befragungen auslösen könnten. Pfeiffers Kriminologisches Forschungsinstut Niedersachsen (KFN) habe sich offensichtlich damit nicht auseinandergesetzt.

Auch von anderer Seite hagelte es Kritik. Die Juristin Marion Westphal, die im Auftrag von Kardinal Reinhard Marx Mißbrauchsfälle in der Erzdiözese München-Freising anhand von mehr als 13.000 Akten „aufgearbeitet“ hatte und dabei ihr Entsetzen über eine unzureichende Aktenführung nicht verhehlte, sprach von problematischen Veröffentlichungsplänen Pfeiffers. Dieser habe dem wissenschaftlichen Beirat gegenüber erklärt: „Das entscheidet der Markt.“

Wahrscheinlich hat Westphal den entscheidenden Grund für die Differenzen zwischen den Bischöfen und dem Hannoveraner Kriminologen, die schließlich das Vertrauen des kirchlichen Partners in den Wissenschaftler Pfeiffer dahinschmelzen ließen wie Butter in der Sonne, herausgearbeitet. Die Juristin sprach von einem „Geburtsfehler“ der geplatzten Studie. Der Umgang mit den Ergebnissen hätte gleich zu Beginn eindeutig geregelt werden müssen. Bei der Neuauflage werde es auf ein „seriöses Mandantenverhältnis“ ankommen. Es müsse klar sein, daß man frei sei in der Gewinnung der Erkenntnisse und diese auch unzensiert dem Auftraggeber bekanntgebe: „Ich muß mich aber dem Mandanten soweit unterwerfen, daß er mir die Veröffentlichung gestattet“, so die Anwältin. „Wenn er das nicht macht, kann die Öffentlichkeit ihre Schlüsse daraus ziehen.“

Die Bischöfe hatten sich offenbar nicht näher mit der Machbarkeit der Studie befaßt, die sie als die „weltweit größte“ ihrer Art ausgaben. Wenn man nicht nur Akten durchforste, sondern Täter wie Opfer für die Aufklärung gewinnen wolle, gehe es immer um eine „Beziehungsaufnahme“, kommentierte der Frankfurter Jesuit Eckhard Bieger auf dem Internetportal kath.de. Man müsse doch abschätzen können, wie der Anruf eines Instituts bei einem Täter wirke, der erfährt, daß vorher die eigene Personalakte duchforstet worden sei und der Interviewer möglicherweise die Inhalte kennt. „Da denkt der Betroffene doch eher in Richtung Staatsanwaltschaft als an eine Chance, eigenes Fehlverhalten aufzuarbeiten. Oder er wird wieder mit einer Denunziation, die bereits Jahre zurückliegt, konfrontiert.“ Für den Jesuiten Bieger liegt das Problem darin: Es fehle bei denen, die den jetzt gekündigten Auftrag verhandelt haben, „einfach die Kenntnis des Problemfeldes und die Abschätzung, was mit sozialwissenschaftlichen Methoden überhaupt erkannt werden kann“.

Und wer sich nicht richtig kundig gemacht habe, könne dann auch der Öffentlichkeit seine Position wenig überzeugend erklären. Schon jetzt sei klar, schrieb die Katholische Nachrichtenagentur (KNA): Ein Institut, das den Forschungsauftrag nach diesem unglücklichen Vorlauf übernehme, stehe unter besonders mißtrauischer Beobachtung. Nur wenn es eine Studie präsentiere, die für die Kirche unbequeme Wahrheiten enthalte, könne es dem Vorwurf mangelnder Unabhängigkeit entgehen.

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