© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/13 / 18. Januar 2013

Schneeballschlacht für die Revolution
Linksextremismus: Gleich zwei Demonstrationen erinnerten am Wochenende in Berlin an die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht
Thorsten Brückner

In diesemJahr waren es gleich zwei Kundgebungen, die zum Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht einluden. Zum ersten Mal hatte sich in diesem Jahr ein Bündnis linker und linksextremer Gruppierungen zu einer Parallelkundgebung zur traditionellen Linkspartei-Veranstaltung anläßlich des Todestags von Luxemburg und Liebknecht zusammengefunden, der bereits vor der Wiedervereinigung von der SED-Führung Jahr für Jahr propagandistisch ausgeschlachtet wurde. Liebknecht und Luxemburg waren im Januar 1919 von Freikorpssoldaten ermordet worden.

„Wir wollen mit diesen gescheiterten Identitäten nichts zu tun haben“, gab der Sprecher der Alternativkundgebung gleich zu Beginn die Marschrichtung vor. Man wolle mit der Heiligenverehrung von Luxemburg und Liebknecht brechen und sich vom traditionellen Marxismus autoritärer Prägung distanzieren.

Die Jusos waren auf der Gegenveranstaltung ebenso vertreten wie die Berliner Linksjugend Solid und zahlreiche linksextreme Gruppen. Auch die Kovorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, schaute vorbei und machte sich ein Bild von der Gegenkundgebung. So ganz klappte es mit der Distanzierung von totalitärem Gedankengut dann aber doch nicht. Plakate wurden in die Höhe gehalten mit den berühmten Zitaten von Luxemburg „Jawohl, Diktatur“ und „Revolution ist großartig“. Ein Organisator der Kundgebung versicherte, daß diese Schilder nicht mit der Ausrichtung der Demonstration zu vereinbaren seien. Dennoch wurden sie bis zum Ende der Veranstaltung hochgehalten – kein Organisator versuchte mit den Schilderträgern zu sprechen oder ihnen die Plakate abzunehmen. Den etwa 400 Demonstranten, die sich erst zum Karl-Liebknecht-Gedenkstein im Tiergarten und schließlich zum Rosa-Luxemburg-Steg aufmachten, war ihr Desinteresse an politischen Grundsatzfragen anzumerken. Eine flammende Rede über eine bessere, kommunistische Gesellschaftsordnung wurde gnadenlos ausgepfiffen. Viele Teilnehmer nutzten stattdessen die Zeit für eine Schneeballschlacht, bis der Veranstalter mit einem lauten Zwischenruf alle Selbstbeschäftigungen beendete. „Alle mit roten Fahnen jetzt nach vorne“, brüllte es durch den Lautsprecher.

Schließlich setzte sich der Zug mit halbstündiger Verspätung in Bewegung. Während sich die Teilnehmer mit Bier und Zigaretten in der klirrenden Kälte der Hauptstadt warm hielten, sorgten Parolen aus heiseren Kehlen für die akustische Untermalung. „Staat Scheiße, Kapitalismus Scheiße, Patriarchat Scheiße“, skizzierten die Aktivisten ihr politisches Programm. Als schließlich am Karl-Liebknecht-Denkmal die „Internationale“ angestimmt wurde, kam die Mehrheit der jungen Antifa-Aktivisten über den Refrain nicht hinaus. Einige Rentner, die inbrünstig weitersangen, halfen ihnen aus der Not. Auch die Bedienung eines Megaphons gehört mittlerweile wohl nicht mehr zu den Kernkompetenzen der extremen Linken. Von der historischen Zusammenfassung des Lebens von Karl Liebknecht bekam so vermutlich nur die Rednerin selbst etwas mit.

Zuvor war es auf dem Zentralfriedhof von Lichtenberg im Ostteil der Stadt zu Auseinandersetzungen gekommen. Die „Vereinigung der Opfer des Stalinismus“ hatte zu einer Mahnwache am Gedenkstein für die Opfer des Stalinismus aufgerufen, während nur wenige Meter entfernt die Nomenklatura der Linkspartei Luxemburg und Liebknecht die Ehre erwies und an deren Gräbern Rosen ablegte. Anders als Oskar Lafontaine, der zusammen mit seiner Lebensgefährtin Sahra Wagenknecht den Gedenkstein für die Opfer mied, traten der Vorsitzende der Linksfraktion Gregor Gysi und Katja Kipping mit gesenktem Haupt heran und verharrten einige Sekunden andächtig, um der Opfer zu gedenken. Im vergangenen Jahr hatten Linksextremisten den Gedenkstein geschändet. Dagegen richte sich auch die Mahnwache, sagte die DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld der JUNGEN FREIHEIT. „Es geht uns vor allem darum, in diesem Jahr den Gedenkstein zu schützen“, betonte Lengsfeld. „Außerdem tut es gut zu sehen, daß ein Gregor Gysi hierherkommen und seine Rose ablegen muß.“

Nicht alle hatten Verständnis für die Mahnwache. Neben der Polizei, die Konflikte mit Linksextremen befürchtete und der Gruppe um Lengsfeld einen Platz außerhalb des Friedhofs zuweisen wollte, beklagten auch Mitglieder des Fördervereins „Zentralfriedhof Lichtenberg“ die Aktion. „Diese Leute nutzen den Gedenkstein zur politischen Profilierung. Das war nicht die Absicht, mit der wir ihn gestiftet haben“, sagte ein Mitglied des Fördervereins. Auf Nachfrage betonte er, daß dies etwas völlig anderes wäre, wenn tatsächliche Opfer des Stalinismus hier stünden. „Die Frage ist doch, was diese Leute unter ‘Opfer des Stalinismus’ verstehen“, kritisierte er.

Auch im weiteren Verlauf der Veranstaltung fiel auf, daß mit zweierlei Maß gemessen wurde: Während linksextreme Aktivisten mit politischen Bannern auf das Gelände zogen, veranlaßte die Friedhofsleitung die Gruppe um Lengsfeld, alle Schilder mit politischen Botschaften zu entfernen. Nachdem die Gruppe aus Angst vor gewaltsamen Übergriffen die Mahnwache beendet hatte, kam es dann doch noch zu Randale: Linksextremisten versuchten unter Losungen wie „Stalin gehört zum Kommunismus“ zum Gedenkstein vorzudringen. Die von der Linkspartei gestellten Ordner waren überfordert und mußten sich von den Extremisten mit Rufen wie „Seid ihr jetzt auch Nazis?“ beschimpfen lassen. Die Polizei griff schließlich ein und schaffte es, den Gedenkstein in diesem Jahr vor Angriffen zu schützen.

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