© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/13 / 18. Januar 2013

„Wir sind keine Schweinefleischpartei“
Parlamentswahl in Israel: Netanjahu muß mit Stimmenverlusten rechnen / Schwierige Koalitionsgespräche erwartet / Rücksichten auf USA?
Thorsten Brückner

Mit einer gemeinsamen Liste wollten Likud-Chef Benjamin Netanjahu und sein Ex-Außenminister, Israel-Beitenu-Führer Avigdor Lieberman, die Kräfte des nationalen Lagers bündeln. 42 der 120 Mandate gewannen sie bei der Wahl 2009, als sie getrennt antraten. Von einer Steigerung dieser Zahl ist längst keine Rede mehr.

Zwei Wochen vor der Knessetwahl übt sich Likud-Beiteinu in Schadensbegrenzung und feuert aus allen Rohren auf ihren derzeit größten Konkurrenten: Naftali Bennett (siehe Seite 3). Mit seiner Partei Habajit ha Jehudi (Jüdisches Haus) mischt der 40 Jahre alte Veteran der Eliteeinheit Sayeret Matkal die israelische Parteienlandschaft derzeit kräftig auf. Umfragen zeigen, daß der Likud seit der Vereinigung massiv Wähler an Bennetts Partei verloren hat, die gute Chancen hat, zweit- oder drittstärkste Kraft zu werden.

Besonders bei religiösen Juden ist der 54jährige Lieberman, der wegen einer Affäre kurz vor der Wahl seinen Rücktritt als Außenminister erklärt hat, eine Persona non grata. Viele enttäuschte Kernwähler des Likud sehen daher in der Zusammenarbeit mit ihm eine endgültige Aufgabe jüdischer Werte der Partei. „Wir sind keine Schweinefleischpartei“, hieß es in einer Pressemitteilung aufgebrachter Likud-Mitglieder kurz nach der Bekanntgabe der Vereinigung in Anspielung auf Liebermans Herkunft aus Kischinau/Moldawien.

Viele der über eine Million Neubürger, die nach dem Zerfall der Sowjet­union nach Israel einwanderten und die die Hauptklientel Liebermans darstellen, leben nicht nach den koscheren Speisevorschriften. Bennett weiß dies zu nutzen. „Es gibt heute Parteien, die fragen: Wo ist das Geld geblieben? Wir fragen: Wo sind die Werte geblieben?“, ruft er in Wahlkampfveranstaltungen seinen häufig jungen Anhängern zu. Mit seiner geradlinigen Art vertrauen ihm viele Israelis mehr als Netanjahu, der unter rechten Israelis den Ruf eines Umfallers in Fragen der nationalen Sicherheit hat: Unter seiner Ägide wurden 1997 weite Teile Hebrons den Palästinensern überlassen. Zuletzt unterstützte Netanjahu in seiner berühmt gewordenen Bar-Ilan-Rede gar die Schaffung eines Palästinenserstaates. Entsprechend versucht Netanjahu derzeit Bennett als Extremisten darzustellen und unterstellt ihm in Wahlkampfspots eine Nähe zu jüdischen Terroristen wie dem Hebron-Attentäter Baruch Goldstein, der 1994 dort 29 Palästinenser massakrierte.

Äußerungen Bennetts, wonach er als Reservesoldat einen Befehl zur Räumung von Siedlungen verweigern würde, waren darüber hinaus ein gefundenes Fressen für den Likud-Führer. „Wer Befehlsverweigerung unterstützt, wird kein Minister bei mir“, drohte ihm Netanjahu daraufhin im israelischen Fernsehen.

Niemand zweifelt unterdessen daran, daß nach der Wahl der alte auch der neue Premierminister sein wird. Das säkular-progressive Lager hat sich im Wahlkampf zu zerstritten präsentiert und keine klare Führungsfigur hervorgebracht. Ex-Außenministerin Tzipi Livni, die Chefin der Arbeitspartei (Awoda), Schelly Jachimowitsch, und der frühere TV-Moderator Yair Lapid, der mit seiner linksliberalen Liste Yesh Atid („Es gibt eine Zukunft“) ins Rennen geht, nehmen sich gegenseitig Stimmen weg. Versuche der drei Parteiführer, noch vor der Wahl eine Absprache zu treffen und als Block in mögliche Koalitionsverhandlungen mit Netanjahu zu ziehen und dadurch die eigene Verhandlungsposition zu verbessern, sind vorerst gescheitert.

Netanjahu hat daher eine auf den ersten Blick komfortable Ausgangsposition. Er kann entweder versuchen, das progressive Lager zu spalten, und mit zwei der drei Parteien eine Mitte-Rechts-Regierung bilden. Oder er kann den Wünschen seiner Basis folgen und wieder eine nationale Koalition, diesmal mit Bennett und zwei ultraorthodoxen Parteien eingehen. Dies würde auch angesichts der sehr rechtslastigen Parteiliste des Likud, zu der erstmals auch der von Netanjahu jahrelang bekämpfte Siedleraktivist Moshe Feiglin zählt, die intrakoalitionäre Arbeit erleichtern.

Beobachter gehen jedoch derzeit davon aus, daß Netanjahu die moderate Option wählen wird, um die Beziehungen zu den USA nicht unnötig zu belasten und einen größeren Handlungsspielraum auf dem internationalen Parkett zu haben. Genau diese Aussicht nutzt Bennett nun für den Schlußsprint seines Wahlkampfs. Netanjahu werde ohnehin Premier bleiben, so Bennett. Es gehe jetzt nur noch um die Frage, ob Netanjahu in einer linken Koalition mit Livni einen Palästinenserstaat gründet oder dies mit ihm in der Koalition verhindert wird. Bei der letzten Wahl hätten sich die Israelis für das nationale Lager entschieden und schließlich den linken Ex-Awoda-Chef Barak als Verteidigungsminister bekommen. „Wir müssen stark genug sein und eine Hand am Lenkrad haben, um dafür zu sorgen, daß Netanjahu in die nationale, zionistische Richtung marschiert“, betonte Bennett in einem Interview.

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