© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/13 / 18. Januar 2013

Der schwierige Weg zur „Eisernen Kuppel“
Rüstungsindustrie: Eine israelische Rüstungsfirma entwickelt mit begrenzten Mitteln eine Raketenabwehr für asymmetrische Kriege
Dan Reznik

Das Raketenabwehrsystem „Iron Dome“ (Eiserne Kuppel) hat während der Kampfhandlungen zwischen Israel und der islamistischen Hamas im November vorigen Jahres international für Verblüffung gesorgt. Selbst die schärfsten Kritiker des Systems hat der Erfolg zum Schweigen gebracht – und es ist nicht nur eine militärische, sondern auch eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte jenseits der Sphäre milliardenschwerer Weltkonzerne. Die Eiserne Kuppel bildet die Spitze von 30 Jahren intensiver Forschung und Entwicklung auf dem Feld von Raketenabwehrsystemen. Verantwortlich für die technische Umsetzung sind die Experten der Firma Rafael Advanced Defense Systems, von denen viele an der Technion-Universität in Haifa studiert haben.

Während das auch in der Bundeswehr verwendete Patriot-System des US-Rüstungsgiganten Raytheon (Umsatz 2012 fast 25 Milliarden Dollar) zur Abwehr von großen Flugzeugen, Raketen oder Marschflugkörpern in traditionellen Kriegen konstruiert wurde, ist die Eiserne Kuppel eine Antwort auf den „modernen“ asymmetrischen Krieg. Das System soll die israelische Bevölkerung vor Kurz- und Mittelstreckenraketen sowie schweren Granatangriffen schützen.

Über Jahre wurden verschiedene Strategien diskutiert und verworfen, etwa das Sky-Guard-System („Nautilus“), das mit taktischen Hochleistungslaserkanonen arbeitete, oder Raytheons Phalanx-Kanone. Die einzige Gegenmaßnahme schien weiterhin die Kontrolle von Feindesterritorium durch die israelische Armee zu bleiben – unter Inkaufnahme hoher eigener Verluste.

Erst im August 2005 wurde die Entscheidung getroffen, ein eigenes effektives Raketenabwehrsystem zu entwickeln und einzusetzen. Der Durchbruch kam im Sommer 2006 während des Zweiten Libanonkriegs. Trotz massiver Luftangriffe und einer Bodenoperation der israelischen Armee gelang es der libanesischen Hisbollah während des gesamten Krieges, Städte in Nordisrael unter Raketenfeuer zu nehmen. Bald nach Ende des Krieges machte Verteidigungsminister Amir Peretz von der sozialdemokratischen Arbeitspartei daher das „Iron Dome“-Projekt zu einer nationalen Priorität. Im November 2006 erhielt die Firma Rafael den Auftrag dafür. Und trotz der Budgetrestriktionen und politischer Widerstände setzte Peretz es schließlich auch durch.

Die Hauptvorgabe lautete, ein kosten­effizientes System zu entwickeln, das den Preis einer Abfangrakete niedriger hält als mögliche Schäden durch einen Raketeneinschlag. Zusätzlich sollte es mobil und binnen Stunden an verschiedenen strategischen Orten einsetzbar sein. Angesichts der Grenznähe vieler israelischer Städte mußte das System die einfliegende Rakete in kürzester Zeit erkennen und abschießen können. Zugleich sollte eine Stadt mit mehreren Dutzend Quadratkilometer Größe abgedeckt werden – und das ganze möglichst bald. Daher wurden drei israelische Firmen ausgewählt, die „Iron Dome“ unter der Aufsicht von Rafael und Maf’at zu produzieren. Um die Effizienz und Präzision zu garantieren, traten in jeder Entwicklungsphase zwei konkurrierende Entwicklerkollektive gegeneinander an. Da Rafael auf bereits existierende Technologien zurückgreifen konnte, vergingen vom Zeichenbrett bis zum ersten Systemtest nur zwei Jahre.

Expertengruppen begannen, die Eigenschaften der Raketen zu analysieren, die Israel bedrohten. Anders als große ballistische Raketen können sie keine Massenvernichtungswaffen transportieren, sondern nur kleinere Sprengköpfe, die nur am direkten Einschlagsort Schäden verursachen. Mit diesem Wissen im Hinterkopf produzierten die Entwickler eine Software, die bereits kurz nach Abschuß der feindlichen Rakete diese analysiert und sogleich bewertet, ob es sich dabei um eine Bedrohung für die Zivilbevölkerung oder eine Schlüsselinfrastruktur handelt. Nur dann sendet das System ein Signal an die Basis, daß die einfliegende Rakete abgeschossen werden muß. Das reduziert die Anzahl unnötiger und kostspieliger Abschüsse.

Um die Abfangrakete („Tamir“) zu entwickeln, hatte Rafael mit der Restriktion zu kämpfen, den neuesten Stand der Technik zu verwenden, aber gleichzeitig bei den Stückkosten unter 50.000 Dollar zu bleiben. Dafür stattete Rafael „Tamir“ mit einer elektro-optischen Technik aus, die einen Näherungszünder enthält. Das ermöglicht, eine Rakete auf kurze Distanz zu erkennen und zu zerstören, ohne eine lange Flugstrecke zurücklegen zu müssen. Um ein Ziel, das sich nur wenige Kilometer vom Abschußort entfernt befindet, zu schützen, hat „Iron Dome“ zahlreiche ferngesteuerte Werfer, die mit dem Zentralcomputer in Höchstgeschwindigkeit kommunizieren.

Drei Firmen waren unter Federführung von Rafael (die Firma hat nicht einmal ein Zehntel der Mitarbeiterzahl des US-Konkurrenten Raytheon) am „Iron Dome“-Projekt beteiligt. Das ausgeklügelte Radarsystem der „Kuppel“ wurde von Elta Systems gebaut, einer Tochtergesellschaft der staatlichen Israel Aerospace Industries. Angesiedelt in Aschdod waren die Elta-Angestellten, ebenso wie der Rest Südisraels, dem ständigen Raketenbeschuß aus dem Gaza-Streifen ausgesetzt, was sicherlich zusätzliche Motivationsschübe auslöste.

Elta griff beim „Iron Dome“-Radar auf das bewährte Nautilus-System zurück, das seit Jahren verläßlich Raketen erkennt, die militante Palästinenser aus dem Gaza-Streifen abfeuern. Das Kampf- und Waffenkontrollsystem (BMC) von „Iron Dome“ wurde von der kleinen Softwareschmiede MPrest Systems entworfen. Und zwar so, daß es auch alle wichtigen Anforderungen des „Revolution of Military Affairs Concept“ (RMA) erfüllt. Das RMA ist die Blaupause der US-Verteidigungsdoktrin von 2002 (NSS), wonach sich die Kriegsführung ständig veränderten Militärtechnologien anpassen muß. Im Rahmen der RMA ist das BMC folglich für Kommando, Kontrolle, Kommunikation, die IT und die geheimdienstlichen Komponenten des „Iron Domes“ in Echtzeit verantwortlich. Diese kombinierten Fähigkeiten (C4I) erlauben es dem Kommandeur der „Iron Dome“-Batterie die verschiedenen Operationen seiner Einheit zu koordinieren, um einen reibungslosen Informationsfluß in kürzester Zeit möglich zu machen.

Trotz der letztlich unbestrittenen Erfolge wurde „Iron Dome“ von der israelischen Armee, dem Finanzministerium und zahlreichen Verteidigungsexperten zunächst als Geldverschwendung angesehen. Sogar der Staatskontrolleur (das Pendant zum Bundesrechnungshof) mußte sich damit befassen. Anfänglich wurde das Projekt allein vom israelischen Staat finanziert. Die Kosten beliefen sich dabei in der ersten Phase auf umgerechnet etwa 50 Millionen Dollar, die für die ersten zwei „Iron Dome“-Testbatterien ausreichten. Dann kam das Projekt zu einem Stillstand, weil die israelische Armee darauf bedacht war, in Offensiv- und nicht in Defensivtechnologien zu investieren. Doch bald zeigten sich erste operationelle Erfolge gegen das palästinensische Raketenfeuer im Grenzgebiet zum Gaza-Streifen – und den Entscheidungsträgern winkte so eine politische Dividende.

So wurden schließlich die zusätzlichen Kosten für die Bereitstellung weiterer „Iron Dome“-Batterien vom US-Kongreß genehmigt und von den finanziell selbst in der Bredouille steckenden USA getragen – obwohl US-Militärhilfen in der Regel letztlich vor allem amerikanischen Firmen zugute kommen sollen. Innerhalb nur weniger Einsatzjahre hat „Iron Dome“ bereits internationale Aufmerksamkeit erregt, von den USA und der Nato bis zu Indien und Südkorea, die ja ebenfalls Auge in Auge mit ihren Gegnern stehen. Laut Aviation Week hat Singapur als erster ausländischer Kunde das „Iron Dome“-System bestellt. Das weltweite Interesse wird es Israel künftig ermöglichen, das System zu exportieren und den Gewinn zu reinvestieren – in neue Batterien und Systemerweiterungen.

Israel ist ohnehin seit Jahren einer der weltweit größten Waffenexporteure. Vor zwei Jahren kündigte Rafael an – allerdings zusammen mit Platzhirsch und Pentagon-Hoflieferant Raytheon –, „Iron Dome“ auch in den USA zu vermarkten. Im Hinblick auf andere Grenzkonflikte und asymmetrische Kriege weltweit scheint es nur eine Frage der Zeit, bis andere Länder „Iron Dome“ in ihr Arsenal übernehmen, um Leben durch Raketenabwehrtechnologie zu retten.

 

Dan Reznik diente bei der israelischen Luftwaffe. Er ist Geheimdienstanalyst bei Max Security Solutions, einer geopolitischen Sicherheitsberatungsfirma mit Sitz in Israel.

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