© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/13 / 18. Januar 2013

Heldengeist contra Händlergeist
Sorge vor dem Schlammstrom: Eine Erinnerung an den Nationalökonomen und Soziologen Werner Sombart
Karlheinz Weissmann

Wenn man die Menge der lieferbaren Buchtitel durchmustert, stellt man rasch fest, daß von Werner Sombart praktisch keiner darunter ist. Zwar hat man vor einigen Jahren sein mehrbändiges Hauptwerk – „Der moderne Kapitalismus“ – nachgedruckt, aber von Resonanz keine Spur, und auch das Interesse an „Der Bourgeois“ oder „Liebe, Luxus und Kapitalismus (eigentlich: „Luxus und Kapitalismus“) ist erlahmt, seitdem die linke Begeisterung für Kulturgeschichte schwand.

Wer den Namen Sombart überhaupt noch kennt, verbindet ihn mit einer älteren, als abgetan betrachteten Nationalökonomie, mit der Glanzzeit deutscher Ordinarien oder chauvinistischen Vorstellungen, vielleicht sogar der intellektuellen Wegbereitung des Nationalsozialismus.

Daß man es besser wissen kann, ist vor allem der großen Sombart-Biographie Friedrich Lengers zu verdanken, dem es gelang, die persönliche wie intellektuelle Entwicklung Sombarts zu rekonstruieren. Lenger hat dabei besonderes Gewicht auf die Brüche im Denken Sombarts gelegt, der aus großbürgerlichen Verhältnissen stammte, zuerst wenig Anzeichen von Rebellentum zeigte, als Nationalökonom immerhin mit dem „Kathedersozialismus“ sympathisierte, um dann überraschenderweise Partei für den Marxismus zu nehmen, sich zu einem Revisionismus ganz eigener Art bekehrte, ein glühender Verfechter der „Ideen von 1914“ wurde, nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs resignierte, um angesichts der „nationalen Revolution“ noch einmal Hoffnung zu schöpfen und dann mit seinen letzten Schriften eine so deutliche Abwendung zu vollziehen, daß ihn die SS-Führung schon als Feind markierte.

Ohne Zweifel hatten die häufigen Kehren Sombarts mit der dramatischen Entwicklung zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs zu tun. Aber man muß auch eine gewisse Sprunghaftigkeit in Rechnung stellen, die in seinem Charakter begründet lag, ein ruheloses Suchen, das der Produktivität zugute kam, aber nicht der sorgfältigen Durcharbeitung, das die dauernde Veränderung einzelner Bücher – vor allem von „Sozialismus und soziale Bewegung“ (zuletzt unter dem Titel „Der proletarische Sozialismus“) – genauso erklärt wie die Neigung, mit Verve bestimmte Thesen aufzustellen, um diese dann zügig hinter sich zu lassen und durch eventuell ganz konträre zu ersetzen.

Der am 19. Januar 1863 Geborene zeigte seine Begabung früh und wurde schon mit 27 Jahren, ohne Habilitation, auf einen außerordentlichen Lehrstuhl an der Universität Breslau berufen. Aber seine offene Sympathie für die Arbeiterbewegung war ein erhebliches Hindernis für die weitere akademische Karriere. Erst 1906 konnte er an die Handelshochschule in Berlin wechseln und 1917 schließlich ein Ordinariat an der Universität der Hauptstadt erlangen. Zu dem Zeitpunkt hatte der „etwas eklektische Marxist“ (Friedrich Engels) seinen linken Vorstellungen längst abgeschworen und sich zuerst einer materialistisch fundierten, dann einer stärker von der Philosophie Hegels bestimmten Vorstellung vom Gang der Geschichte zugewandt.

Seinen Zeitgenossen fiel natürlich vor allem auf, daß Sombart nicht mehr an die Zukunft des Sozialismus glaubte und den Kapitalismus für mehr oder weniger unsterblich hielt. Dessen Widerstandskraft und Wandlungsfähigkeit führte er auf einen „Geist des Kapitalismus“ zurück, den er zwar nie ganz präzise erfassen konnte, der aber immerhin Max Weber zu seinen Protestantismus-Studien anregte. Sombart sah im Kapitalismus und seinen Trägern – denen er 1911 mit seinem Buch über „Die Juden und das Wirtschaftsleben“ und 1913 mit „Der Bourgeois“ immer noch lesenswerte Analysen widmete – Agenten des Weltgeistes, die jenen Prozeß der totalen Umwandlung des Wirtschafts- und Gesellschaftslebens vorantrieben, den man nur zum Schaden des großen Ganzen unterbrechen oder aufhalten konnte.

Allerdings mischte sich in diese doch ganz optimistische Sicht ein resignativer Zug, der mit dem kulturkritischen Geist der Vorkriegszeit zu tun hatte und bei Sombart immer stärker die Sorge in den Vordergrund rückte, daß der Modernisierungsprozeß eben auch einen „Schlammstrom“ freisetze, der alle höhere Gesittung unter sich zu begraben drohte.

Es deuteten sich hier schon Motive an, die dann in jenem Buch Sombarts zur Ausführung kamen, dessen Titel zum Schlagwort – „Händler und Helden“ – wurde. Denn Sombart vertrat darin die These, daß der Erste Weltkrieg nicht nur und nicht einmal in erster Linie ein Machtkampf, sondern ein Kulturkampf sei, bei dem es um die Frage gehe, ob dem „Händlergeist“ des angelsächsischen Westens oder dem preußisch-deutschen „Heldengeist“ die Zukunft gehöre, ob die Welt eine kapitalistische sein werde oder eine, die sich dem Gedanken einer neuen, organisatorischen Erfassung der Gemeinschaft und des Einzelnen anschließe. Es ist unschwer zu erkennen, daß von da aus der Weg kurz war, hin zu jenen Ideen, die er 1934 in seinem Buch „Deutscher Sozialismus“ entwickelte. Aber nur für einen kurzen Moment haben die neuen Machthaber geglaubt, daß ihnen von einem renommierten Wissenschaftler Flankenschutz geboten würde, nach der Lektüre waren sie belehrt, daß Sombarts „nationaler Sozialismus“ mit ihrem „Nationalsozialismus“ wenig zu tun hatte.

Das lag vor allem an der defensiven Struktur, die Sombart vor Augen stand, denn unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise waren seine Zweifel an einer auf Wachstum gegründeten Ökonomie immer stärker geworden. Der „Geist des Kapitalismus“, auf den er einmal große Hoffnung gesetzt hatte, erschien wegen des „Rentabilitätsprinzips“ immer deutlicher als eine auf Vernutzung aller – der materiellen wie der immateriellen – Ressourcen gerichtete Kraft, die unbedingt eingedämmt werden mußte, um „Nachhaltigkeit“ zu gewährleisten (so Sombart wörtlich), wozu nach Lage der Dinge nur der Staat die Mittel hatte.

Der Etatismus des späten Sombart ähnelt in vielem dem Oswald Spenglers, der mit ihm zu den Protagonisten der Konservativen Revolution gezählt werden kann, und auch in bezug auf die wachsende Skepsis gegenüber der Technik wird man Gemeinsamkeiten zwischen beiden feststellen. Wenn man Spenglers „Der Mensch und die Technik“ (1931) mit Sombarts „Die Zähmung der Technik“ (1935) vergleicht, sind die Übereinstimmungen offenkundig. Bei beiden war die Überzeugung gewachsen, daß der Mensch eine Apparatur geschaffen habe, die ihm über den Kopf zu wachsen drohte und die jedenfalls nicht aus sich heraus das Bessere erzeugte, sondern einen massenhaften „Komfortismus“, der letztlich in die Katastrophe führen muß.

Diese Sicht kann man nur geschichtspessimistisch nennen, und sie erklärt die letzte, die konservative Kehre, die Sombart Ende der dreißiger Jahre vollzog und die noch einmal in seinem Werk „Vom Menschen“ (1938) ihren Ausdruck fand. Das Buch läßt sich nur gewaltsam in den großen Neuansatz der Philosophischen Anthropologie einordnen, der von Deutschland ausging und dessen wichtigste Vertreter Max Scheler, Helmuth Plessner und Arnold Gehlen waren. Denn Sombarts Buch behauptete zwar, das „Programm“ Schelers auszuführen und folgte auch dessen Bestimmung der Sonderstellung des Menschen, war aber sehr viel traditionalistischer, wenn es etwa um die Verteidigung des „Geist“-Begriffs ging, in der Polemik gegen die Psychoanalyse, die in den „Seelenkloaken“ wühle, oder den Darwinismus, der zur „Vertierung“ des Menschen die theoretische Rechtfertigung geliefert habe.

Sombarts Sohn Nicolaus hat in seinen Jugenderinnerungen einige interessante Schlaglichter auf die späten Jahre seines Vaters geworfen, auf das Leben des „Mandarins“, der jeden Tag Kisten mit Büchern geliefert bekam, die in die große Bibliothek der Villa im Grunewald eingeordnet werden mußten, der als ein Herr niemals die Küche seines Hauses betrat und mit einer immer noch schönen Dame aus der rumänischen Hocharistokratie verheiratet war, die es geschickt verstand, „ein Haus“ zu führen. Aber niemand mußte Werner Sombart sagen, daß diese Lebensform, die aus dem alten Europa überdauert hatte, dem Untergang geweiht war. Er wußte das sehr genau, so wie er zum Zeitpunkt seines Todes, am 18. Mai 1941, sehr genau wußte, daß Deutschland den Krieg verlieren und danach nicht mehr sein werde, was es war.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen