© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/13 / 18. Januar 2013

Das Kalkül der Amerikaner ging nicht auf
Der Internetpionier Kim Dotcom kann als rehabilitiert gelten / Jetzt stellt er seine neue Seite „Mega“ vor
Ronald Gläser

Das Attribut „schillernd“ wurde für Männer wie ihn erfunden: Kim Schmitz. Der gebürtige Kieler Kim Schmitz liebt den ganz großen Auftritt. Am kommenden Sonntag ist es soweit. Dann hat er mindestens 150 Journalisten aus der ganzen Welt auf seine Villa Dotcom Mansion in Coatesville bei Auckland, Neuseeland, eingeladen. Schmitz, der sich seit 2005 Kim Dotcom nennt, stellt seinen neuen Internetdienst Mega vor.

Mega ist nicht ganz neu. Vor genau einem Jahr wurde Schmitz’ Internetseite Megaupload auf Druck der US-Justiz vom Netz genommen und Schmitz mitsamt seiner Entourage verhaftet. Die Show zur Wiedereröffnung ist für Schmitz eine Genugtuung sondergleichen. Megaupload war eine Plattform für Speicherplatz im Internet. So etwas wird auch von vielen unzweifelhaften Anbietern unter dem Namen Cloud (zu deutsch: Wolke) vermarktet. Angeblich war Schmitz’ kostenfreier Dienst so erfolgreich, daß vier Prozent des Internetverkehrs über seine Seite abgewickelt worden ist.

Das Spezielle an Megaupload: Hier war es für die Kunden zudem möglich, Inhalte untereinander zu tauschen. Damit konnte Megaupload als Tauschbörse angesehen werden. So wie Napster, Kazaa und all die anderen inzwischen eingestellten oder marginalisierten Dienste, über die vorwiegend Musikdateien von Privatpersonen verbreitet wurden.

Jedoch: Schmitz und seine Leute argumentieren, sie hätten illegale Inhalte stets auf einen entsprechenden Hinweis von Rechteinhabern oder Behörden hin aus dem Netz entfernt. Im Fall von Youtube reicht diese Kooperation, um das Google-Tochterunternehmen vor einer staatlichen Abschaltung zu schützen. Im Offline-Leben würde der Staat ja auch nicht jeden Fischladen zumachen, nur weil jemand behauptet, daß sich unter der Kundschaft Taschendiebe tummeln. Und schon gar nicht, solange der Ladenbesitzer mit der Polizei kooperiert.

Dotcom sieht sich von der amerikanischen Unterhaltungsindustrie verfolgt, die er als Anstifter hinter der Jagd der US-Administration nach weltweiten Dienstanbietern ausgemacht hat. Außerdem warnt er vor einer Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit durch den wachsenden Überwachungsstaat. Dotcom hat ein Anti-Obama-Lied komponiert („What about free speech, Mr. President?“) und sich im amerikanischen Wahlkampf für dessen Herausforderer Mitt Romney ausgesprochen, weil Romney Hollywood weniger verpflichtet sei als Obama. „Nicht Internetpiraterie ist das Problem“, so Dotcom, „sondern Hollywoods antiquiertes Geschäftsmodell.“ Die Konzerne hätten es nicht geschafft, Filme und andere Inhalte einfach und bezahlbar über das Netz zugänglich zu machen.

Megaupload bewegte sich schlimmstenfalls in einer Grauzone. Das läßt den überdimensionierten Übergriff des Staates gegen Schmitz vor einem Jahr um so mehr unverhältnismäßig aussehen: Die Polizei umstellte das ganze Anwesen, nachdem ein Geheimagent mit versteckter Kamera das Innere ausgespäht hatte. Mit Helikoptern und Bussen mit abgedunkelten Scheiben wurden Spezialkräfte herangeführt. Eine kleine Armee, zu der sogar eine Hundestaffel und ein Trupp mit mobilen Toiletten gehörte, stürmte Dotcoms Riesenanwesen. Schmitz wurde im Panikraum seines Anwesens mit einer abgesägten Schrottflinte gestellt und mißhandelt. (Die Polizei bestreitet das.) Hinterher wurden die Angeklagten im Gerichtssaal hinter einer Glaswand wie Schwerkriminelle abgefilmt. „Wir wurden unserer Freiheit beraubt und wie Terroristen behandelt“, klagt Schmitz.

Die Staatsanwaltschaft hat sich auf Dotcoms Niveau begeben und aus der Verhaftung eine große Show gemacht. Die amerikanische Justiz behauptet, Megaupload sei eine weltweite Verschwörung für Urheberrechtsverstöße gewesen. Vermögensgegenstände im Wert von 50 Millionen Dollar wurden beschlagnahmt, die Seite vom Netz genommen. Es sah nach einem endgültigen Karriereknick für den wegen Insiderhandel vorbestraften Schmitz aus.

Aber das Kalkül der Amerikaner und der neuseeländischen Staatsanwälte ging nicht auf. Die Richter des Landes ließen sich durch die spektakuläre Verhaftung nicht beeinflussen. Stückweise erreichten Schmitz’ Anwälte, daß er und seine Leute auf freien Fuß kamen und zumindest einen Teil ihres Geldes zurückerhielten. Weil der Durchsuchungsbefehl illegal war, entschuldigte sich sogar Neuseelands Premierminister John Key öffentlich bei Dotcom. Dieser arbeitet mit seinen Vertrauten seit Monaten beharrlich an einer Neuauflage seines Dienstes. Die Abschlußarbeiten waren vor einer Woche noch im Gange: Schmitz suchte noch Geschäftspartner für sein Projekt und Übersetzer für Sprachen wie Russisch oder Japanisch.

Der neue Dienst soll nur noch Mega heißen und folgende Merkmale haben: Anders als bisher muß der Nutzer keine Software mehr auf seinem Rechner installieren. Die Server stehen verteilt auf der ganzen Welt, aber allesamt außerhalb der USA, um den Zugriff der Amerikaner unmöglich zu machen. Ob und wie Informationen geteilt werden, wird erst am Wochenende feststehen, wenn Dotcom das Angebot freigeschaltet hat. „Dann“, verspricht Dotcom, „werde die US-Regierung unterliegen und Innovation werde triumphieren.“

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