© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/13 / 18. Januar 2013

Das Ende des Mannes?
Betty und der Leitwolf
Baal Müller

Sonderlich überraschend war die Nachricht nicht, daß sich Christian und Bettina Wulff am 7. Januar „einvernehmlich getrennt“ haben; die Frauen sind nun einmal „alle ein bißchen Betty“, wie Birgit Kelle in The European kommentierte – soll heißen: Sie lieben die Alphatiere, sei es in der Politik, wo alte Paschas wie Berlusconi und Joschka Fischer ihren Rang von jungen weiblichen Statussymbolen zum Ausdruck bringen lassen, sei es unter jugendlichen „Skatern“, die von sogenannten „Bettys“ umschwärmt werden.

Allgemein hat Kelle mit ihrer Botschaft natürlich recht und sowohl den gesunden Menschenverstand als auch die Evolutionsbiologie auf ihrer Seite – erfolgreiche Männer versprechen Wohlstand, Sicherheit und Chancen für den Nachwuchs –, dennoch möchte man ihr nicht ganz darin zustimmen, daß der so jämmerlich gescheiterte Bundespräsident ein Alphatier und Bettina Wulff „eine ganz normale Frau“ sei. Eigentlich fanden sich nur zwei Durchschnittskarrieristen zusammen, die jeweils ihre Chance bekamen: der ambitionierte Kleinbürger, der sich in der Parteihierarchie nach oben diente und bei den Wahlen zum niedersächsischen Ministerpräsidenten beziehungsweise Bundespräsidenten jeweils drei Anläufe brauchte, und die abgebrochene Studentin, die eine Zeitlang neben ihrem Mann posierte, Champagner schlürfte, jetsettete, diverse Schirmherrschaften innehatte und, als Wulff im Schloß Bellevue seinen Rücktritt erklärte, auf demonstrative physische Distanz zu ihm ging, um „als eigenständige Frau wahrgenommen zu werden“.

Anders als ihr Kredit- und Urlaubsschnäppchenjäger, der nur Zapfenstreich und Ehrensold mitnehmen konnte, steht „Betty“ trotz der Gerüchte um ihre in den Medien kolportierte Rotlichtvergangenheit gar nicht so schlecht da: Sie bleibt mit den Kindern in dem Klinkerhäuschen, mit dessen Finanzierung die Affäre ihren Anfang nahm, warf ihr von der Boulevard-Journalistin (und Verfasserin von Iris-Berben- und Veronica-Ferres-Biographien) Nicole Maibaum geschriebenes Selbstdarstellungsbüchlein „Jenseits des Protokolls“ auf den Markt, erzwang von Günther Jauch und Google Unterlassungserklärungen beziehungsweise Datenlöschungen und betreibt jetzt eine eigene PR-Agentur. Daß sie von „Medienmarketing“ und „angewandten Medienwissenschaften“ auch ohne Abschluß etwas versteht, hat sie eindrucksvoll bewiesen; fast möchte man Christian Wulff raten, sie mal zu buchen (als PR-Beraterin natürlich).

Richtiges Mitleid mag mit Wulff, der uns repräsentierte, nicht aufkommen – nicht nach all den vorgestanzten Phrasen, die er zum Beispiel zum Thema „Islam und Deutschland“ von sich gegeben hat. Dabei repräsentierte er uns, als „Leitwolf“ von Merkels Gnaden und „Leidwulff“ an der Seite seiner gnadenlos berechnenden Frau, eigentlich gar nicht so schlecht; nämlich so, wie es unserem Zustand entspricht. Wir hatten ein solches Beta-Tier verdient, und wir haben Politiker dieser Art noch immer verdient, einfach weil wir zulassen, daß sie uns regieren.

Der „Typ Wulff“ war für uns auf zweierlei Weise repräsentativ: Zum einen verkörperte er in seiner Gesichts- und Konturlosigkeit das eintönige politisch-mediale Establishment; zum anderen entspricht er ziemlich genau dem Männertypus, den dieses System favorisiert. Zweifellos hat es Anpasser, Parteibürokraten und Aufsteiger, die nach unten treten und nach oben buckeln, auch früher schon gegeben, aber sie entsprachen nicht dem „Schwiegersohntyp“, als der Wulff lange bezeichnet wurde, und hatten keine Vorbildfunktion. Erst die jahrzehntelange Abwertung traditioneller Männlichkeitsbilder vom Ernährer und Krieger, die pädagogische Kulturrevolution und schließlich der Übergang der Parteiendemokratie in ihren heutigen „postdemokratischen“ Zustand, in dem Wahlen nichts bewirken, weil keine tatsächlichen Alternativen mehr zur Wahl stehen, hat zu dieser Herrschaft der Schwundstufe geführt.

Wulff und seinesgleichen, egal welchen Geschlechts, würden ihre Charakterlosigkeit wahrscheinlich als Flexibilität und ihr seifiges, immer auf Geschmeidigkeit bedachtes Gerede als kommunikative Kompetenz bezeichnen, und es besteht kein Zweifel, daß in der heutigen Gesellschaft auch andere Fähigkeiten als die des von männlicher Kraft strotzenden jugendlichen Kriegers oder des einsam und schweigsam durchhaltenden Kämpfers nötig und hilfreich sind. Aber eine Gesellschaft ohne positive männliche und weibliche Leitbilder ist zum Untergang verurteilt. Die geschlechtliche Polarität des Menschen, die die Spannung aller Lebensverhältnisse wesentlich bestimmt, wird sich durch die Reduktion auf „Macho“- oder „Glucken“-Klischees und die Propaganda vom genderneutralen Einheitsmenschen nicht abschaffen lassen.

Dabei sieht es für heutige Männer, glaubt man den Mediendebatten, nicht gut aus; anders gesagt, es steckt mehr Wulff in uns, als wir wahrhaben wollen. Der deutsche und allgemein der westliche Mann ist verunsichert. Die Regeln für den Umgang von Männern und Frauen sind komplexer, vielschichtiger, alters- und milieuspezifischer geworden. War es in den achtziger Jahren noch halbwegs klar, daß eine Beziehung etwa mit Tanzengehen begann und in ihrer Anbahnungsphase rollenspezifisch ritualisierte Stationen zu durchlaufen hatte, deren Reihenfolge zwar nicht starr vorgegeben war, aber doch eine gewisse Orientierung erlaubte, die den Schüchternen stärkte, den Stürmischen mäßigte und dem Mann wie der Frau Zeit zum Kennenlernen gab, so herrscht heute scheinbar „anything goes“ bei ständig neuen Formen, sich zu „daten“. Natürlich gibt es immer noch Regeln, aber die sind jedesmal anders. Der eine profitiert von neuen Kommunikationsmöglichkeiten und „frei(zügig)en“ Umgangsformen und sucht sich immer neue „Kontakte“ in den „sozialen Netzwerken“; der andere kann sich nicht entscheiden, weil virtuell unendliche viele Kontaktmöglichkeiten auf ihn warten und immer noch ein Traumpartner kommen könnte, auf den er nach den Suggestionen der Konsum- und Ego-Gesellschaft ein Anrecht zu haben glaubt.

Die Auflösung traditioneller Geschlechterrollen verunsichert den Mann anscheinend mehr als die Frau. Letztere beklagt zwar oft die Überforderung durch die Erwartung, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen, aber ihr wird immerhin vermittelt, daß es ein erstrebenswertes Ziel sei, beides zu vereinbaren; dem Mann hingegen wird gar kein Ziel mehr vermittelt, und die Geschlechterdebatte beherrschen nicht mehr feministische Schlachtrufe zum Kampf gegen das Patriarchat, sondern Schlagworte wie „Männerdämmerung“ und „Das Ende des Mannes“.

Glaubt man den Medien, beispielsweise dem Spiegel, der zu Jahresbeginn mit einer Geschichte über die (angebliche) Identitätskrise des starken Geschlechts aufmachte, steht einem Heer gut ausgebildeter, erfolgreicher und selbstbewußter Frauen eine tumbe Masse schlaffer, ängstlicher, antriebs- und entscheidungsloser Männer gegenüber, denen die traditionellen Rollenbilder teils durch feministische Pädagogik ausgetrieben, teils ökonomisch unmöglich gemacht wurden: Väter sind patriarchal, Helden faschistisch, „Eroberer“ unnötig, da die Frau selbst erobert, wen sie will, und Ernährer gibt es nicht mehr, weil das Einkommen des Mannes nicht mehr ausreicht, um eine Familie zu ernähren.

Paradoxerweise wünschen sich nun aber gerade die jungen Frauen, die ihre starke Stellung angeblich dem feministischen Kampf ihrer Mütter verdanken, immer noch richtige Kerle als Männer und möchten selbst dann lieber „nach oben“ heiraten, wenn das Angebot dort dünn ist, erwarten aber auch Verständnis für ihre emotionalen Befindlichkeiten und natürlich vollen Einsatz bei Haushalt und Kinderbetreuung. Da der gutverdienende, gebildete, kulturell interessierte, ökologisch denkende, sozial verantwortliche, sportlich aktive, liebevoll-zärtliche und sich väterlich kümmernde Traummann so selten auftaucht, reicht es immer nur für Lebensabschnittspartnerschaften.

Einige Aspekte dieser Problematik sind zu weiten Teilen zwar eher feuilletonistische Angelegenheiten, die mit den wirklichen Sorgen der Menschen wenig zu tun haben, aber die ökonomischen Veränderungen sind gravierend. Die amerikanisch-israelische Autorin Hanna Rosin rechnet in ihrem soeben auch auf deutsch erschienenen Bestseller „Das Ende des Mannes“ vor, daß in den USA derzeit weniger als 65 Prozent der erwerbsfähigen Männer in Beschäftigung sind. Nur noch 40 Prozent der Bachelor- und Master-Abschlüsse werden von Männern erworben; 2010 wurden sogar erstmals weniger als die Hälfte aller Doktorarbeiten von Männern eingereicht. Am stärksten werden die amerikanischen Männer in den bildungsfernen Schichten abgehängt, deren Einkommen in den vergangenen dreißig Jahren um bis zu ein Viertel gesunken ist, während es Frauen gelang, ihre Einkommenssituation durch größere Flexibilität und Weiterbildung zu verbessern.

Die Zahlen lassen sich nicht gänzlich auf Deutschland übertragen, da hier die männliche Domäne der industriellen Produktion noch immer eine größere Rolle spielt – außerdem ist nicht nur die Zahl der Universitätsabschlüsse überhaupt, sondern diejenige in den jeweiligen Fachbereichen relevant. Der gesellschaftliche Wohlstand wird nicht primär von Geistes- und Sozialwissenschaftlern, sondern von Absolventen der sogenannten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) erwirtschaftet, und in letzteren sind Frauen noch immer deutlich weniger vertreten. Die Tatsache, daß entsprechende Frauenförderprogramme wenig bewirkt haben, belegt die offenkundige Tatsache geschlechtsspezifischer Unterschiede der Interessen und Begabungsprofile, aus denen – unter marktwirtschaftlichen Bedingungen – auch die noch immer höheren Durchschnittseinkommen der Männer resultieren.

Bei dem Geschrei, das in den Medien darum veranstaltet wird, unterschlägt man völlig, daß sich die verschiedenen Einkommen aus der unterschiedlichen Berufswahl ergeben. Eine gesetzliche Einführung von Quotenregelungen für die Führungsetagen der Privatwirtschaft wird sich insgesamt nachteilig auf die Produktivität auswirken, da es zu verstärkten Spannungen durch „Geschlechterkonflikte“ und Doppelbesetzungen – wegen zu vieler „Quotenfrauen“, deren Arbeit jemand anders mitübernehmen muß – kommt.

Ungeachtet dieser nur eine kleine ökonomische Elite betreffenden Fragen ist festzustellen, daß es heute mehr gut qualifizierte, finanziell unabhängige Frauen gibt – was Männer allerdings nicht zwangsläufig als Bedrohung ansehen müssen. Manche konservativen Männer neigen allzusehr dazu, mangelnden Erfolg bei Frauen mit deren angeblich feministischer Einstellung oder ihrer finanziellen Unfähigkeit, eine Familie zu ernähren, zu begründen, anstatt die Ursachen auch bei sich selbst zu suchen. Emanzen und Gender-Ideologinnen sind eine seltene Spezies; Frauen bilden insgesamt das konservative Element der Gesellschaft (das zu jeder Zeit die herrschenden Werte unterstützt, insbesondere wenn dies auch noch persönlichen Nutzen bringt), und die Reduktion der männlichen Rolle auf den Familienernährer ist ein Relikt des Industriezeitalters. In bäuerlichen Gesellschaften trugen Frauen weitaus mehr zum Familieneinkommen bei und hatten einen höheren gesellschaftlichen Status als in der Industriegesellschaft. Wenn sich Männer und Frauen wieder mehr Arbeiten teilen und ihre Männlichkeit und Weiblichkeit nicht nur ökonomisch mit Leben erfüllen, kann man dies also auch als eine Rückkehr zu unseren Wurzeln sehen – und wer ganz weit zurückgehen mag, möge sich daran erinnern, wie Tacitus die germanische Frau als Gefährtin des Mannes beschrieb und der ihrem „Dominus“ unterworfenen römischen Frau entgegengesetzt hat. Die Geschlechter unterscheiden sich von Natur aus, aber diese Unterschiede werden gesellschaftlich immer anders interpretiert.

 

Dr. Baal Müller, Jahrgang 1969, Philosoph, ist als Journalist, Buchautor und Übersetzer tätig. Zudem leitet er den Telesma-Verlag. Auf dem Forum schrieb er zuletzt eine Warnung vor dem Dialog der Kulturen und begründete, warum der Islam nicht zu Europa gehört („Die Wüstenreligion“, JF 4/12).

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