© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/13 / 18. Januar 2013

Die Ideologie der Modellbahner: Kleinbürger im Hobbykeller
Fatale Sehnsucht nach der heilen Welt
(dg)

Wenn Männer wieder zu Kindern werden und mit Modelleisenbahnen spielen, dann ist diese Regression alles andere als ein harmloser Privatspaß. Dieser Ansicht sind jedenfalls die Saarbrückner Geographen Olaf Kühne und Johannes Schmitt, die sich die „Diskursgemeinschaft der Modelleisenbahn“ und ihre „Logik der Konstruktion von Landschaft“ zum Forschungsobjekt wählten (Berichte zur deutschen Landeskunde, 2/2012). Das kritische Auge der Wissenschaftler richtete sich in dieser geographischen Vierteljahresschrift dabei auf gefährliche ideologische Dispositionen, die in der „Community der Modelleisenbahner“ vorherrschen sollen. Denn bei ihrer Landschaftsgestaltung falle auf, daß die Loks am liebsten an idyllischen Dörfern, Bauernhöfen, Wiesen und Wäldern vorbeiziehen, während städtische Ensemble oder Industrieanlagen im Hobbykeller beinahe tabu sind. In dieser auf „halboffene Mittelgebirgslandschaften“ fixierten Motivwahl manifestiere sich eine „kleinbürgerliche Ideologie ‘mittleren Geschmacks’“, und die dargestellten Landschaften drückten eine „Sehnsucht nach (scheinbar) idyllischer ländlicher Gemeinschaftlichkeit“ aus. Zusätzliche politische Brisanz berge das bevorzugte historische Ambiente der 1950er und 1960er Jahre. Hier offenbare sich die „Sehnsucht nach der ‘heilen Welt’ der Wirtschaftswunderzeit“.

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