© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/13 / 18. Januar 2013

Frisch gepresst

Memelland. Der Publizist Hermann Pölking ist mit seiner inzwischen in zweiter, verbesserter Auflage erschienenen, gut 900 Seiten starken „Biographie einer Provinz“ fast über Nacht in die erste Reihe der Vermittler ostpreußischer Geschichte getreten (JF 42/11). Nach dem Erfolgsrezept dieser Monographie, das umfassende Literaturkenntnis und hohe Darstellungskunst vereint, ist der Autor auch bei seiner Arbeit über das Memelland verfahren, für das vor 90 Jahren, im Januar 1923, die schwere Zeit unter litauischer Besatzung begann. Die Geschichte dieser Okkupation, die im März 1939 endete, bildet auch einen Schwerpunkt des Bandes. Wie in anderen historischen Kapiteln, so dominiert hier jedoch nicht die politische, sondern die Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte, für die sich Pölking auf eine stattliche Reihe literarischer Quellen stützt. So sind Ernst Wichert und Hermann Sudermanns „Litauische Geschichten“ oder die Lebenserinnerungen des „Vogelprofessors“ Johannes Thienemann bislang unter landeskundlichen Aspekten vernachlässigt worden. Ein dickes Lob verdient zudem die reiche Illustration mit seltenen, aus dem Dunkel der heimatkundlichen Literatur wieder ans Licht beförderten Fotos, die unvergeßliche Eindrücke von der 1945 versunkenen Alltagskultur an der Memel gewähren. (ob)

Hermann Pölking: Das Memelland. Wo Deutschland einst zu Ende war. Ein historischer Reisebegleiter. be.bra Verlag, Berlin 2013, broschiert, 430 Seiten, Abbildungen, 24,95 Euro

 

Böhmen. Im Ausklang seiner Geschichte Böhmens findet der Wiener Historiker Lothar Höbelt anerkennende Worte für seine tschechischen Kollegen, weil sie ohne „politdidaktische Imperative und Tabus, wie sie im Westen grassieren“, auskommen. Die Erinnerung an den deutschen Anteil an der böhmischen Geschichte scheint Höbelt daher in Prag, Budweis und Reichenberg heute besser aufgehoben als in München oder Wien. In jedem Fall in besten Händen ist sie bei Höbelt selbst, der sich gerade in seinen Kapiteln über das 19. und 20. Jahrhundert, die dem „klassischen Land des Nationalitätenkampfes“ gelten, souverän über die von ihm verachteten „Imperative“ hinwegsetzt. Dank dieser geistigen Unabhängigkeit ist Höbelt der lebendigste Überblick über 1.000 Jahre des europäischen Herzlandes Böhmen geglückt, der derzeit auf dem deutschen Buchmarkt verfügbar ist. (dg)

Lothar Höbelt: Böhmen. Eine Geschichte. Karolinger Verlag, Wien, Leipzig 2012, gebunden, 214 Seiten, Abbildungen, 19, 90 Euro

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