© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/13 / 18. Januar 2013

„Fakten werden nicht zur Kenntnis genommen“
Der Hochgebirgsforscher Gernot Patzelt über zu kurzfristiges Denken und das Politikum Klimaerwärmung
Wolfhard H. A. Schmid

Herr Professor Patzelt, als langjähriger Vorstand des Instituts für Hochgebirgsforschung in Innsbruck haben Sie sich als Gletscherforscher in der Alpenregion einen Namen gemacht. Viele Wissenschaftler warnen, die globale Erwärmung könnte bis zum Jahr 2100 zwei Drittel der europäischen Gletscher zum Schmelzen bringen. Was haben Sie zum Klima-Thema herausgefunden?

Patzelt: Seit über 40 Jahren bin ich mit der Gletscherforschung und Klimaveränderung beschäftigt. Die Geländearbeit ist die Basis für alle daraus resultierenden Überlegungen. Der Betrachtungszeitraum geht auf über 10.000 Jahre zurück. Klimaforschung, die nur 150 Jahre zurückgeht, ermöglicht keine umfassenden Urteile. Denken Sie nur an die Römerzeit oder das Hochmittelalter. Bei unseren Studien hat sich bestätigt, daß 65 Prozent der letzten 10.000 Jahre wärmer waren als heute, also auch in einem Zeitraum, wo der menschliche Einfluß nicht gegeben war.

Ihre Forschungsergebnisse ähneln Aussagen des Geophysikers Georg Delisle von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Er ist wegen seiner Kritik am UN-Weltklimarat (IPCC) in „Ungnade“ gefallen. Sein Nachfolger Carsten Rühlemann äußerte sich in einem JF-Interview (37/09) zurückhaltender. Für ihn gibt der IPCC-Bericht „den Stand der Wissenschaft wieder“. Die Hauptursachen für die Erwärmung seien „eine Zunahme klimawirksamer Gase, der Einfluß der Aerosole und Veränderungen der Vegetation“.

Patzelt: Die Thematik der Klimaerwärmung ist ein Politikum und wird oft durch Ideen und nur teilweise von Fakten unterstützt. Wesentliche Forschungsergebnisse werden nicht beachtet oder nicht zur Kenntnis genommen.

Laut Rühlemann nehmen die antarktischen Temperaturen an den Übergängen von Eis- zu Warmzeiten im Mittel 800 Jahre vor dem Anstieg der CO2-Konzentration zu. Dieser Anstieg von Temperatur und CO2 erstreckt sich jedoch insgesamt über etwa 5.000 Jahre. Die Ursache für den früheren Temperaturanstieg sei eine Zunahme der Sonneneinstrahlung während des Frühjahrs in der Antarktis – hervorgerufen durch Änderungen in der Neigung der Erdachse. CO2 habe damals noch keine Rolle gespielt. Die weiteren 4.200 Jahre der Erwärmung seien dagegen durch den CO2-Anstieg beeinflußt worden.

Patzelt: Ich kenne diese Argumente, kann dazu allerdings wenig beitragen. Meine Forschungsergebnisse zeigen aber ganz deutlich, daß der CO2-Anstieg der Erwärmung folgt und nicht umgekehrt. Die Erwärmungen der letzten 50 Jahre sind schon beträchtlich, aber man muß bei den Schlußfolgerungen für die Gründe vorsichtig sein. Den Sonneneinfluß ganz auszuschließen, ist sicher falsch.

Wäre die Klimakonferenz Ende vorigen Jahres in Doha nicht die richtige Plattform für Ihre Erkenntnisse gewesen?

Patzelt: Doha ist ein reines Politikum gewesen, also eine politische und keine sachliche Veranstaltung. Man sollte sich an die Fakten halten und sich auf die Geländeuntersuchungen konzentrieren. Es ist ein Faktum, daß seit 15 Jahren die Temperatur nicht mehr steigt.

Sie sind auf der Konferenz des Europäischen Instituts für Klima und Energie (EIKE) in München aufgetreten (JF 50/12).

Patzelt: Ich kann immer wieder feststellen, daß die Zuhörer den Aussagen meiner Vorträge sehr positiv gegenüberstehen. Neben der Gletscherforschung beschäftige ich mich intensiv mit der Waldentwicklung im Hochgebirge. Auch aus diesen Befunden kann man ableiten, daß es in früheren Zeiten viel wärmer als heute war. Auch unsere im alpinen Raum tätigen Forstleute, die bekanntlich sehr langfristig denken, sind von meinen Ergebnissen sehr angetan.

Kritiker werfen EIKE vor, ein Sprachrohr der Energielobby sein.

Patzelt: Fachlich ist ein solcher Vorwurf nicht begründbar. Ich sehe in EIKE ein Diskussionsforum, das Unterstützung sucht und auch findet. Ich konzentriere mich auf meine Befunde im Gebirge, die von Interesse sein könnten, ja müssen, wenn es um das Thema globale Erwärmung geht.

Angesichts der Klima-Kontroversen kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, daß sich viele Prognosen auf dünnem Eis bewegen, wie Computerberechnungen oder Simulationen.

Patzelt: Ich muß noch mal betonen, daß die widersprüchlichen Aussagen einerseits auf Antworten zu politischen Fragen beruhen und andererseits auf Antworten zu Sachfragen.

Sehen Sie eine realistische Chance, daß Ihre Forschungsergebnisse in Verbindung mit den Erkenntnissen vieler Forscher aus der Arktis und Antarktis genügend Material liefern, um ein Umdenken zu erzeugen?

Patzelt: Ich glaube ja. Ich habe die Beobachtung gemacht, daß vor zehn Jahren meine Arbeiten kaum zur Kenntnis genommen wurden. Inzwischen werde ich von den Medien zunehmend befragt und das stimmt mich zuversichtlich.

Trotz widersprüchlicher Aussagen über den „Peak Oil“ ist die Endlichkeit der Ölressourcen unbestritten. Der Druck hin zu alternativen Energiekonzepten wächst – doch sie gewährleisten bislang keine Versorgungssicherheit. Steuern wir daher auf eine Renaissance der Kohlekraftwerke zu?

Patzelt: Eine schwierige Frage. Ich sehe in Kohlekraftwerken kein wesentliches Umweltproblem. Steinkohle ist umwelttechnisch kein Problem mehr. Braunkohle anscheinend schwieriger zu handhaben. Aufgabe muß es doch sein, gegenüber Importen von Energierohstoffen unabhängiger zu werden. Anstrengungen in der Entwicklung erfolgen doch immer mit dem Ziel, die gestellte Aufgabe positiv zu erledigen, also eine Verbesserung zu erzielen. Man muß also weiter in dieser Richtung forschen.

 

Prof. Dr. Gernot Patzelt ist Glaziologe und Polarforscher. Er leitete drei Antarktisexpeditionen. Bis 2004 lehrte er Hochgebirgsforschung an der Universität Innsbruck. Er ist Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina.

www.oeaw.ac.at/kfq/patzelt.html

 

Kontroverse Klimaveränderung

Der meteorologische Dienst Großbritanniens (Met Office) meldete zu Jahresbeginn, daß bis zum Jahr 2017 mit einer gleichbleibenden Temperaturlage zu rechnen sei. Das wärmste Jahr bleibe 1998. Sollte diese Prognose stimmen, dann hätte die globale Klimaerwärmung für zwei Jahrzehnte pausiert, rechneten Kritiker des Weltklimarates (IPCC) vor. Das Met Office entgegnete auf solche Bewertungen, daß sich trotz der jüngsten Korrekturen an der langfristigen Prognose zur weiteren Erwärmung des Weltklimas nichts geändert habe. Im aktuellen Entwurf des IPCC-Klimazustandsberichts (AR5), der noch in diesem Jahr veröffentlicht werden soll, heißt es daher weiterhin, es sei extrem wahrscheinlich, daß menschliche Aktivitäten über die Hälfte des seit 1950 zu beobachtenden Temperaturanstiegs zu verantworten hätten. Eine ähnliche Auffassung vertritt das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), das die deutsche Politik führend berät.

Klimagrafiken des britischen Met Office: www.metoffice.gov.uk

Foto: Alpengletscher: „Meine Forschungsergebnisse zeigen aber ganz deutlich, daß der CO2-Anstieg der Erwärmung folgt und nicht umgekehrt“

 

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