© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/13 / 18. Januar 2013

Der Flaneur
Ein Eiscafé. Im Winter
Jutta Winckler

Die Sonne noch kraftlos, ein freier Nachmittag unter der Woche, die Temperaturen immerhin über dem Gefrierpunkt, Lust auf Eiscafé, mit Wollmantel und Mütze, Waffel mit warmen Kirschen, muß heute sein. Fußläufig zu Ghirardis, an einem Dutzend ineinander verkeilter Einkaufswagen entlang, Pack schert sich nicht um dein oder mein, seit Jahren schon Straßendekor einschlägiger Quartiere.

Zur Linken das Minarett der König-Fahd-Akademie, Hauptsprache Arabisch, rechter Hand das Stadion. Zur Zeit trainiert Al Hallal, ein Sportverein für fromme Jungs, ihre Burka-Mütter als schwarze Säulen am Rand. Träge drischt deren dickliche Brut Bälle ins Netz. Weiter zum Altenheim der Diakonie, gegenüber Mevlana-Market, moslemische Supermarktkette. In Glascontainern fischen Berber nach Pfandflaschen. Gegenüber die Tankstelle, der Besitzer, ein emsiger Syrer, liegt in der Klinik, drei Überfälle im letzten Jahr; man wird ihn besuchen, sobald er seinen Schädelbruch überstanden hat.

Schlendernd weiter zum Friedhof der Heiland-Gemeinde, neben verkohlten Sammelcontainern ein Golf, linksseitig übel verkratzt, die Bushaltestelle grüßt scherbenübersät, wen mag die gläserne Reklamebox provoziert haben? Weiter Richtung Ghirardi, das Schild ist neu: „Arabischer Kulturverein“, ein verhängtes Ladenlokal. Weiter Richtung Sankt Severin, betagte Beterinnen gehen hinein.

Der Flaneur nimmt draußen Platz, Grauköpfe hinter FAZ, Anlagetips, Kulturgeschwurbel, Währungsrettung, zu spät für den Schleckerladen um die Ecke, schon lange Insolvenz, zuvor zwei Überfälle, jugendliche Täter. Die Waffel kommt, auf dem Tisch ein Stapel Postkarten: „Vermißt“ fett schwarz, ein Fahndungsfoto: „Das ist unser Tim“, den zu verlieren sich ein „wir“ ängstigt, er sei unter „religiöse Fanatiker“, „Terrorgruppen“ gefallen. Just ein Tim! Oder ein Rolf? Ein Otto? Ein Jürgen? Das Nürnberger Amt für Migration hat ein Referat „Rückkehrförderung“, würde da gerne „Gefällt mir“ an­klicken. Die Sahne ist weiß, die Zukunft soll „bunt“ sein, kein Grund schwarzzusehen oder was.

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