© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/13 / 25. Januar 2013

Mißbrauchsvorwurf gegen Klaus Kinski
Nie mehr Erdbeermund
Birgit Kelle

Warum jetzt? Es ist die Frage, die mir zuerst einfiel nach Bekanntwerden der schweren Vorwürfe von Pola Kinski gegenüber ihrem berühmten Vater, dem Schauspieler Klaus Kinski. Er soll sie 14 Jahre lang mißbraucht haben. Jetzt erst – über 20 Jahre nach seinem Tod und über 40 Jahre nach den Taten – meldet sie sich öffentlich zu Wort. Warum jetzt? Ein Buch über die Ereignisse, Talkshow-Auftritte. Sie sagt selbst, sie habe es leid gehabt, daß der Glorienschein um Klaus Kinski immer weiter wachse und man ihn für einen hochsensiblen Künstler halte.

Ja, vielleicht braucht es manchmal über 40 Jahre, bis ein Opfer sich endlich wehren kann. Bis es genug Stärke hat. Auch wenn Pola Kinski nicht wirklich stark wirkte bei ihrem öffentlichen Auftritt in der Sendung „Beckmann“. Ihr Buch scheint mehr eine Therapie zu sein und zeichnet das Leben einer Frau, die offensichtlich nirgendwo Hilfe bekommen hat – nicht einmal bei ihrer eigenen Mutter. Wer wann was gewußt hat oder auch nicht – wir werden es wohl niemals genau erfahren. Klaus Kinski ist tot, er wird dazu nichts mehr sagen. Man wünscht sich, die Tochter hätte das zu Lebzeiten des Vaters öffentlich gemacht. Damit man ihn zur Verantwortung hätte ziehen können.

Bezeichnenderweise zweifelt niemand aus dem direkten Umfeld Kinskis an, daß er die Taten begangen hat. Man traut es ihm offenbar zu. Nastassja Kinsi, die Halbschwester von Pola, berichtet, er habe es auch bei ihr versucht und sie sei froh, daß er tot sei. Was für eine tragische Familie. Rückblickend stellen sich nun neue Fragen. Schon 1977 hat Kinski in einer Talkshow über legalen Sex mit Minderjährigen geredet. Niemand hat das damals ernstgenommen. Oder wollte man es einfach nicht hören, weil er doch als Ausnahmekünstler galt? Wäre so etwas auch heute noch möglich? Promibonus für einen wahnsinnigen Schauspieler? Wegschauen, weil man ihn für ein Genie hält?

Spontan fällt mir Roman Polanski ein. Ein begnadeter Regisseur, der sich jedoch nie für eine Vergewaltigung verantworten mußte und unter Kollegen nach wie vor Ansehen genießt. Ich hoffe doch, daß die Zeiten sich endlich geändert haben. Und bitte: Nie mehr möchte ich die Kinski-Rezitation von „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“ irgendwo hören. Es ist ekelhaft.

 

Birgit Kelle ist Journalistin und Vorsitzende des Vereins Frau 2000plus sowie Mitglied der New Women for Europe.