© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/13 / 25. Januar 2013

„Die letzten Zeitzeugen“
Sechs von ehemals sechstausend überlebenden deutschen Stalingradkämpfern können heute noch Zeugnis ablegen. In seinem Bildband dokumentiert Helmut Ziegner die letzten der Erlebnisgeneration, die kurz vor dem Verlöschen steht.
Moritz Schwarz

Herr Ziegner, wie viele Stalingradveteranen gibt es noch?

Ziegner: Das kann keiner so genau sagen, weil sie nicht zentral erfaßt sind.

Läßt sich die Zahl schätzen?

Ziegner: Etwa 110.000 deutsche Soldaten sind in Stalingrad Anfang 1943 in Gefangenschaft gegangen. Zurückgekommen sind rund 6.000. Davon leben heute noch etwa dreißig bis vierzig.

Wie kommen Sie auf die Zahl?

Ziegner: Ein Teil der Veteranen ist in der „Kameradschaft Stalingrad“ organisiert. Ich dokumentiere den Verband seit 2004. Dort gilt die genannte Zahl als realistische Schätzung – wie gesagt, nicht alle Ehemaligen sind organisiert.

Am letzten Treffen der Kameradschaft 2012 haben noch sechs Stalingradveteranen teilgenommen.

Ziegner: Die noch Lebenden sind neunzig Jahre und älter. Der ursprüngliche Verband, der „Bund ehemaliger Stalingradkämpfer“, wurde bereits 2004 altershalber aufgelöst. 2007 haben die Überlebenden dann aber die „Kameradschaft“ neu gegründet, weil sie die Gemeinschaft vermißt haben. Allerdings war der Vorsitzende schon kein Stalingradkämpfer mehr, sondern ein jüngerer Mann der Flakhelfergeneration. Und nicht alle noch lebenden Kämpfer sind noch voll ansprechbar beziehungsweise in der Lage nach Limburg zu reisen, wo traditionell die Treffen stattfinden, weil dort das Ehrenmal der Kameradschaft steht. Diese sechs sind also die letzten verbliebenen „offiziell“ bekannten Stalingrader, die noch bei Gesundheit sind.

Wir haben alle sechs um ein Interview gebeten, keiner war dazu bereit. Warum?

Ziegner: Weil sie mißtrauisch sind.

Warum das?

Ziegner: Weil sie mit den Medien teilweise schlechte Erfahrungen gemacht haben.

Inwiefern?

Ziegner: Sie fühlen sich, nach meiner Erfahrung, oft nicht richtig dargestellt.

Was meinen Sie konkret?

Ziegner: Sie haben damals als Soldaten einen Eid geleistet und in Stalingrad, auch wenn es ein sinnloser Krieg war, treu und tapfer gekämpft. Das wird vielfach heute nicht mehr verstanden.

Dennoch sind die Veteranen in den Fernseh-Dokumentationen immer wieder zu sehen.

Ziegner: Das sind oft ältere Aufnahmen, und fast alle davon sind inzwischen verstorben. Außerdem, wenn Sie einen Mittelsmann haben, der für Sie garantiert, dann erzählen die Männer auch.

Wie haben Sie Herrn Bernau überzeugt, uns nach seiner Absage dann doch noch ein Interview (siehe oben) zu geben?

Ziegner: Ich kenne Willy durch meine Arbeit schon viele Jahre und konnte ihm versichern, daß Ihre Zeitung ein vertrauenswürdiges Medium mit kritischer Haltung zum Zeitgeist ist.

Sie haben 2008 ein Buch nicht über die Schlacht, sondern über die Veteranen von Stalingrad veröffentlicht, das im Februar in dritter und erweiterter Auflage erscheint.

Ziegner: Über die Schlacht gibt es bereits annähernd tausend Bücher. Mein Anliegen dagegen ist es, die letzten Überlebenden, die letzten Zeitzeugen, die noch sprechen können, zu dokumentieren. Das ist die letzte Chance dazu!

 

Helmut Ziegner, Jahrgang 1931, Major a. D. der Nationalen Volksarmee der DDR. 1967 aus politischen Gründen entlassen, danach Agraringenieur. Veröffentlichte drei Bücher, zuletzt den Bildband „Stalingrad. Erinnerung und Mahnung: 70 Jahre danach“, der die Treffen der Veteranen von 2004 bis 2012 dokumentiert und nun in dritter Auflage erscheint.

 

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