© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/13 / 25. Januar 2013

Lebensrechtler als Feindbild
Demographie: Eine Veranstaltung des Berliner Familienplanungszentrums zeigt die unversöhnlichen Positionen radikaler Abtreibungsbefürworter
Thorsten Brückner

Schon auf der Toilette drehte sich dem Besucher der Magen um. Bilder von kleinen Kindern, die gerade mit sexuellen Darstellungen konfrontiert werden, rahmten stolz ein Zeichen mit der Aufschrift „Nicht im Stehen pinkeln“ ein. In den Räumen des linken Familienplanungszentrums Berlin (fpz), einer Tochter der Abtreibungsorganisation Pro Familia, wird dem Besucher sofort vor Augen geführt, wo er sich befindet.

Vergangene Woche lud das vom Land Berlin unterstützte fpz zu einem Salongespräch mit der linksextremen ehemaligen Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth, der Feminismusforscherin Gisela Notz und einer Vertreterin des „antifaschistischen Pressearchiv“ (apabiz) ein. Thema war „die neue Radikalität der LebensrechtlerInnen“ und ihre Vernetzung in Politik und Medien.

Die Referentinnen plauderten dabei mit erfrischender Offenheit. Ditfurth machte den Anfang und wertete das Erstarken der Lebensrechtler als einen gefährlichen „Rollback“, einen Rückfall in konservative Denkmuster der fünfziger Jahre. Allein die Tatsache, daß sich der Begriff „ungeborenes Leben“ durchgesetzt habe, sei ein gefährliches Signal. „Man muß sich einmal klarmachen, wo diese ganze Lebensschutzscheiße herkommt“, sagte Ditfurth. „Die Kirche, die Nachfolger der Inquisition, die Vergewaltiger kleiner Jungs sind die Verteidiger sogenannten menschlichen Lebens.“ Diesen christlichen Kampfgruppen gehe es um Macht, nicht um Lebensschutz. Außerdem habe der Kampf gegen Abtreibung immer auch eine rassistische Komponente, wie die enge Verzahnung von Neonazis und Kirchen zeige. Schließlich erzählt sie den Teilnehmern stolz von ihren zwei Abtreibungen. „Nein, warten Sie“, korrigiert sie sich sofort, „es waren drei.“ „Eine habe ich vergessen – daran sehen Sie mal, wie tief betroffen mich das gemacht hat.“ Besonders ihre zweite Abtreibung schildert sie als Lichtblick des ansonsten diskriminierenden staatlichen Beratungssystems: „Die Beraterin von Pro Familia und ich waren uns sofort einig, daß Zwangsberatung scheiße ist.“ Zum Schluß forderte Ditfurth, das Schweigen über Abtreibung zu brechen. „Schluß mit Zwangsberatung, ja zum unbürokratischen Abbruch, ja zu einem Menschenrecht auf vergnügte Sexualität!“

Gisela Notz stellte klar, daß es sich „bei den sogenannten Lebensschützern nicht mehr nur um evangelikale Knallköpfe handeln“ würde. Der Kampf gegen Abtreibung sei längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen, sagte Notz. „Es ist an der Zeit, daß die demokratischen Kräfte den reaktionären Lebensschützern entgegentreten, anstatt sie einfach rechts liegenzulassen.“

Als Expertin für die enge Verzahnung von Lebensschützern mit rechtsradikalen Strömungen war als dritte Rednerin Eike Sanders vom „apabiz“ geladen. Sie stellte klar, daß der „christliche Fundamentalismus“, der seinen Ausdruck in den alljährlichen Märschen für das Leben fände, vor allem deswegen so erfolgreich sei, weil er eng mit politischen Parteien und Medien vernetzt ist.

Lebensschützer würden sich dabei in christlichen Parteien wie der Partei für Arbeit, Umwelt und Familie (AUF) engagieren, aber sich auch am rechten Rand der Union tummeln. Dieser gewinne zusehends mehr Einfluß auf die Politik der Bundesregierung. Besorgniserregend seien auch die ideologischen Überschneidungen zwischen Lebensschützern und der JUNGEN FREIHEIT, ergänzte sie. Die Erwähnung der JF in diesem Zusammenhang war für die Teilnehmer sogleich Beweis genug für das rassistische Potential der Lebensschutzbewegung. Schließlich las die Antifa-Aktivistin noch einige Passagen aus der JF vor, die bei den Teilnehmern für sichtliches Entsetzen und ungläubiges Kopfschütteln sorgten. „Menschliches Leben habe eine Würde von Beginn an“, zitierte Sanders. „Unfaßbar“, raunte eine Teilnehmerin, noch bevor Sanders ihren Satz beendet hatte. Nachdem sich die Leiterin des Zentrums, Sybill Schulz, bei Sanders für den „sehr differenzierten Bericht“ bedankt hatte, gingen die meist weiblichen Teilnehmer mittleren Alters zum gemütlichen Teil des Abends über und klagten sich bei dem ein oder anderen Glas Rotwein ihr Leid über eine vom katholischen Klerus dominierte Gesellschaft, in der Frauen immer noch Menschen zweiter Klasse seien.