© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/13 / 25. Januar 2013

„Dem Diktat der Märkte trotzen“
Leipzig: Kontroverse Diskussionen auf dem Kongreß christlicher Führungskräfte
Thorsten Brückner

Stürmischer Beifall der einen Hälfte des Publikums, fassungsloses Schweigen auf der anderen Seite. Die Rede des Bürgermeisters des Berliner Problembezirks Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD), führte eindrucksvoll die gegensätzlichen Pole auf dem Kongreß christlicher Führungskräfte am vergangenen Wochenende in Leipzig vor Augen.

Gerade hatte Buchkowsky seine Vorschläge für einen familienpolitischen Paradigmenwechsel präsentiert und unter anderem Kita-Zwang für Kinder ab einem Jahr und eine Halbierung des Kindergelds gefordert. Der Vorschlag der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Finanzminister Peer Steinbrücks (SPD) im Jahr 2005, die Kindergelderhöhung auszusetzen, sei der erste konstruktive Vorschlag in der Familienpolitik seit langem gewesen, sagte Buschkowsky. „Aber mit Uschi und Peer hat man damals die Flure des Reichstags gewischt.“ Manche Konservative waren zu diesem Zeitpunkt bereits von den gendersensiblen Formulierungen bedient, die auch auf dem christlichen Kongreß Hochkonjunktur hatten.

Auch über Buschkowskys Rede hinaus offenbarte die Veranstaltung, die unter anderem von der evangelischen Nachrichtenagentur idea ausgerichtet wurde und der besseren Vernetzung christlicher Unternehmer dienen soll, ein breites Meinungsspektrum. „Mit Werten in Führung gehen“ war das diesjährige Motto im Leipziger Messezentrum. Um welche Werte es sich dabei handelt, wurde unter Teilnehmern und Referenten allerdings deutlich unterschiedlich beantwortet. Für Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) bilden vor allem Umverteilung und soziale Gerechtigkeit das Fundament christlichen Glaubens. „Wir müssen uns denen entgegenstellen, die unsere Welt in Sieger und Verlierer einteilen wollen“, mahnte er. Die Chefin der mittelständischen Maschinenbaufirma Trumpf aus Baden-Württemberg, Nicola Leibinger-Kammüller, widersprach scharf. Das Wort Gerechtigkeit eigne sich prima für Wahlkampfzwecke. „Hohe Steuern gehen aber an die Substanz von Familienunternehmen. Das verschweigt mancher umverteilungsbeseelte Wahlkämpfer“, sagte sie.

Dem Ökonomen Tomas Sedlacek, Hauptredner der Veranstaltung, gelang es danach wenigstens vorübergehend, die Harmonie wiederherzustellen. Der Tscheche, der wirtschaftlicher Berater von Ex-Präsident Vaclav Havel war, geißelte den Wachstumskapitalismus der westlichen Welt, der für Politiker und Volk Züge einer Religion angenommen habe. „Früher haben wir an Gott geglaubt, heute glauben wir an die unsichtbare Hand des Marktes“, sagte er.

Unsere Wirtschaft befinde sich nicht in einer Depression, sie sei vielmehr manisch-depressiv. Bei Manisch-Depressiven müsse man auch zuerst die Manie behandeln, bevor man sich an die Depression mache. Die Manie, immer mehr Wachstum schaffen zu müssen, könne man nur durch eine Rückbesinnung auf eine biblische Wirtschaftsethik heilen. Die biblische Geschichte vom ägyptischen Pharao, der nach einem Traum, den der gefangene Israelit Joseph ihm deutete, in sieben guten Jahren Vorräte anhäufte, damit sein Volk in den darauffolgenden sieben schlechten Jahren nicht hungern mußte, biete das beste Vorbild für verantwortliches wirtschaftliches Handeln.

Darüber hinaus müsse die Gesellschaft dem Diktat der Märkte trotzen und die Bedeutung des Sonntags wieder stärker zur Geltung bringen. „Wenn die Wirtschaft wirklich das Wichtigste ist, dann müßten wir in der Tat alle auch sonntags arbeiten.“ Die Verengung aller Lebensbereiche auf wirtschaftliche Fragen sei aber das eigentliche Problem. „Wenn etwas nur an einer Stelle wächst, nennt man das Krebs“, warnte er. Sedlacek schaffte mit seinem Vortrag seltene Einigkeit auf dem Kongreß.

In der Ausstellungshalle waren es dann wieder vor allem Buschkowskys Äußerungen, die noch bis spät in den Abend hinein zwischen den Ständen von christlichen Organisationen wie dem Hilfswerk „Open Doors“ oder der „Stiftung Ja zum Leben“ für reichlich Gesprächsstoff sorgten. Ein Teilnehmer äußerte sich dort gegenüber der JUNGEN FREIHEIT begeistert von Buschkowskys Rede. Auch Eltern, die ihre Kinder verantwortlich erzögen, müßten das Opfer der Zwangskita zum gesamtgesellschaftlichen Nutzen bringen. Gleichzeitig lobte er die soziale Ausrichtung vieler Redner. Gerade diese sei ja der Kern christlichen Werteverständnisses.

Andere dagegen verurteilten die Rede scharf und stellten die Frage, warum ein christlicher Kongreß überhaupt jemanden wie Buschkowsky einlädt. Das merkwürdige und brisante Gemisch aus sozialdemokratischen Ideologen und bibeltreuen Evangelikalen sorgte so für anregende Diskussionen.