© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/13 / 25. Januar 2013

Zu viele kommen, zu wenige gehen
Asylstatistik: Die aktuellen Zahlen belegen die gravierenden Mißstände in der deutschen Rechtspraxis. Echte politisch Verfolgte sind eine verschwindend kleine Minderheit
Christian Vollradt

Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Asylbewerber im Vergleich zu den Vorjahren deutlich angestiegen“, so lautete die eher nüchterne Bilanz, die Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) diesen Monat aus den statistischen Daten des Bundesamts für Flüchtlinge und Migration gezogen hat. 64.539 Asylanträge wurden 2012 bei der Nürnberger Behörde gestellt, 18.798 mehr als im Jahr zuvor. Dies bedeutet eine Steigerung um etwa 41 Prozent. 8.764 Personen (14,2 Prozent aller Asylbewerber) erhielten die Rechtsstellung eines Flüchtlings laut Genfer Konvention, 8.376 Asylbewerber (darunter 5.480 Syrer) erhielten den sogenannten „subsidiären Schutz“, der eine Abschiebung ausschließt (etwa wegen des Bürgerkriegs in Syrien).

Ein Drittel aller Asylbewerber kam 2012 jedoch aus einem Nachfolgestaat des ehemaligen Jugoslawien. Insbesondere in der zweiten Jahreshälfte sei ein überproportionaler Anstieg „insbesondere aus Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina“ zu verzeichnen gewesen: „In keinem Fall konnte eine asylrelevante Verfolgung festgestellt werden, so daß offenbar asylfremde Motive für die Asylbeantragung maßgeblich waren.“ Daß nach Einschätzung des Innenministeriums diese Entwicklung „nicht vorhersehbar“ war, klingt alles andere als glaubwürdig.

Denn bereits 2010 hatte die ein Jahr zuvor in der Europäischen Union eingeführte Visafreiheit für Mazedonien, Montenegro und Serbien zu einem sprunghaften Anstieg der Asylbewerber aus diesen Staaten geführt. Die überwiegende Zahl – im Fall von Serbien sind es 90 Prozent – dieser Personen gibt an, Roma (Zigeuner) zu sein. Schon im Oktober 2010 sprach Friedrichs bayerischer Amtskollege und Parteifreund Joachim Herrmann (CSU) in diesem Zusammenhang von einem „offenkundigen Mißbrauch unseres Asylrechts“ und forderte politische Gegenmaßnahmen.

Die Visafreiheit besteht allerdings bis heute fort; und betrachtet man die Zahlen des Jahres 2012 im monatlichen Vergleich, fällt der Anstieg nach dem Sommer besonders auf. Kaum verwunderlich, hat doch das Bundesverfassungsgericht im Juli entschieden, daß die Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Deutschland zu niedrig waren und dieser Satz rückwirkend zum Januar 2011 von 225 auf 336 Euro im Monat erhöht werden mußte. Für die Haushalte der Bundesländer bedeutet dies voraussichtlich 100 Millionen Euro zusätzliche Kosten im Jahr.

Wie der Spiegel berichtete, kursierten auf dem Balkan bereits Flugblätter, auf denen für die Einreise nach Deutschland geworben werde. Die Kommunen hätten „teilweise schon erste Schwierigkeiten, die notwendigen Unterkünfte bereitzustellen“, warnte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, und forderte eine „Wiedereinführung der Visapflicht und eine deutliche Beschleunigung von Asylverfahren“.

Auch in Berlin ist die Lage hinsichtlich der Unterbringung von Flüchtlingen dramatisch. Innerhalb der Hauptstadt sind zahlreiche Unterkünfte überfüllt, die Polizei mußte seit Herbst in einer Einrichtung im Bezirk Lichtenberg mehrfach gewaltsame Konflikte unter den Bewohnern schlichten. Beschwerden in der Nachbarschaft seien die Folge, und es könnten leicht „rassistische Stimmungen“ erzeugt werden, befürchtete die zuständige Stadträtin von der Linkspartei. Zahlreiche Kommunen in anderen Bundesländern (so in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bayern und Sachsen) sind dazu übergegangen, Hotels für die Flüchtlingsunterbringung anzumieten.

Der flächendeckende Mißbrauch des Asylrechts innerhalb der größten Gruppe unter den Herkunftsländern (Serbien/Roma) spiegelt sich in der Anerkennungsquote: Sie liegt – sowohl für den Asyl- wie für den Flüchtlingsstatus – bei 0,0 Prozent. Inwieweit dies sanktioniert wird, läßt sich noch nicht sicher sagen, da noch keine genauen Erhebungen über Abschiebungen im Jahr 2012 vorliegen. Da dies allein in die Zuständigkeit der Bundesländer fällt, werden sie vom Bundesamt für Flüchtlinge und Migration nicht statistisch erhoben. Im Jahr 2011 wurden insgesamt knapp 8.000 endgültig abgelehnte Asylbewerber auf dem Land- oder Luftweg aus Deutschland abgeschoben, darunter 1.001 serbische Staatsangehörige.

 

Ablauf eines Asylverfahrens

Jede (ausländische) Person, die in Deutschland aufgegriffen wird oder sich selbst meldet, kann bei einer Aufnahmestelle einen Antrag auf Asyl stellen.

Im sogenannten „Dublin-II-Verfahren“ wird geprüft, welcher andere europäische Staat für das Verfahren zuständig sein könnte, um zu verhindern, daß Asylbewerber innerhalb Europas in mehreren Staaten Asylanträge stellen. Im Jahr 2011 wurden so 2.902 Personen in andere Länder überstellt. Wegen Kritik an den Zuständen dort, wird derzeit niemand aus Deutschland nach Griechenland, Italien oder Ungarn überstellt.

Ist Deutschland zuständig, wird der Antragsteller nach einem Schlüssel einer Aufnahmeeinrichtung zugewiesen. Er darf den entsprechenden Kreis nicht verlassen (Residenzpflicht). Einige Bundeländer haben die Residenzpflicht ausgesetzt.

Der Antragsteller wird vom zuständigen Bundesamt für Flüchtlinge und Migration angehört.

Die zuständigen „Entscheider“ im Bundesamt prüfen, ob eine Asylberechtigung vorliegt. Laut Artikel 1 GG gilt dies für politisch Verfolgte. Politische Verfolgung ist dabei grundsätzlich nur eine vom Staat ausgehende Verfolgung. Das Verfahren dauert im Schnitt 13 Monate.

Liegt ein Asylgrund (oder – etwa bei Herkunft aus Kriegsgebieten – ein Flüchtlingsstatus) vor, bekommt der Betreffende ein Bleiberecht von mindestens einem oder drei Jahren. Abgelehnte Personen können (etwa wenn im Herkunftsland Folter oder menschenunwürdige Zustände herrschen) „subsidiären Schutz“ erhalten, das heißt es droht dann keine Abschiebung.

Wer ohne diesen Schutz abgelehnt wird, dem droht die Abschiebung, er kann jedoch gegen die Entscheidung vor einem Verwaltungsgericht klagen, zum Teil über mehrere Instanzen.

Scheitert auch dieser juristische Einspruch, kann der abgelehnte Asylbewerber/Flüchtling abgeschoben werden. Über die Praxis entscheidet das jeweilige Land bzw. die zuständige Ausländerbehörde. Bei den Innenministerien gibt es „Härtefallkommissionen“, die formal Einspruch erheben können.

 

Hauptherkunftsländer 2011 und 2012

Unter den zehn Hauptherkunftsländern befinden sich vier Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien. Aus ihnen kam ein Drittel aller Asylbewerber, zum überwiegenden Teil Zigeuner.

Die Anerkennungsquote liegt hier bei 0,0 Prozent (beziehungsweise 0,1 Prozent im Fall des Kosovo). Der Anstieg in der zweiten Jahreshälfte 2012 ist offenbar auch der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Anhebung der Grundleistungen für Asylbewerber geschuldet. Die sinkenden Zahlen ab November gehen laut Innenministerium auf „verstärkte Maßnahmen gegen asylfremde Motive“ zurück.

 

Asylentscheidungen 2011

Nur in 652 Fällen lag im Jahr 2011 bei den Antragstellern ein tatsächlicher Anspruch auf Asyl in Deutschland aufgrund von politischer Verfolgung vor.

6.446 Personen wurde der Schutz als Flüchtling laut Genfer Konvention zuerkannt, bei 2.577 abgelehnten Antragstellern wurde ein Abschiebe-
verbot verhängt (etwa wegen schwerwiegender Gefahr für Freiheit, Leib oder Leben).

Nur 7.917 der 23.717 abgelehnten und nicht vor Abschiebung geschützten Antragsteller wurden tatsächlich aus Deutschland abgeschoben.