© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/13 / 25. Januar 2013

„Wowereit verspottete die Flughafenkritiker“
Interview: Der Kommunikationsberater Wolfgang Przewieslik über die milliardenteure Dauerbaustelle Hauptstadtflughafen BER
Christian Dorn

Herr Przewieslik, Sie sind einer der kontinuierlichsten Kritiker der Berliner Flughafen-Politik. Nach den ursprünglichen Planungen sollte der Flughafen 2007 eröffnen, nun ist von 2015 die Rede.

Przewieslik: Wenn man die Geschichte des Berliner Flughafensystems betrachtett, stellt man fest, daß es seit dem Konsensbeschluß von 1996 – der die Errichtung eines Single-Airports in Schönefeld und die nachfolgende Schließung von Tempelhof und Tegel vorsah – von Beginn an massive Kritik an diesem Konzept gab. So wurde etwa vergessen, die Dynamik der Billigflieger seit 2003 und den Aufschwung der Geschäftsfliegerei einzuplanen und demzufolge ein Multi-Airport-System zu errichten. Unsere seit 2007 geäußerte Kritik wurde aber einfach nicht zur Kenntnis genommen. Insofern sind die seit 2012 diskutierten Schwachpunkte des neuen Flughafens BER überhaupt nichts Neues – das hätte allen Beteiligten bekannt sein müssen. Der Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Wowereit verspottete aber lieber die Flughafenkritiker. Nach uns vorliegenden Expertenschätzungen dürfte mit einer Eröffnung aber erst im Jahr 2017 zu rechnen sein – wenn überhaupt.

Klaus Wowereit konnte als Bürgermeister einer Millionenmetropole und Chef eines Bundeslandes nur wenig Zeit für die Aufsichtsratsführung aufwenden. Nun soll es sein Stellvertreter, der Ministerpräsident von Brandenburg, Matthias Platzeck, richten. Beide haben als Berufspolitiker keine Erfahrung mit großen Bauprojekten. Wie sollen sie merken, wenn Vorstände und Bauleitung sie an der Nase herumführen?

Przewieslik: Der BER ist das Prestigeobjekt Wowereits, der im April 2008 betonte, daß ihm niemand die Verantwortung für das Berliner Flughafensystem abnehmen könne. Herr Wowereit hat politisch zu verantworten, daß das Berliner Flughafensystem seit der politisch motivierten Schließung des Stadtflughafens Tempelhofs im Oktober 2008 schweren Schaden genommen hat und nicht zukunftsfähig ist, weil keine Wachstumsreserven existieren. Jahrelang wurde behauptet, daß der neue BER eine Jahreskapazität von über 40 Millionen Passagieren haben würde. Wir Kritiker entgegneten, daß aufgrund der gedeckelten Anzahl von jährlichen Flugbewegungen – die laut Planfeststellung 360.000 nicht überschreiten dürfen – nur etwa 27 Millionen Passagiere realistisch sind. Im Dezember 2012 bestätigte dann der neue Technikchef der Flughafengesellschaft, Horst Amann, unsere Zahl.

Bereits im vergangenen Jahr wurde an den Berliner Flughäfen Tegel und Schönefeld die 25-Millionen-Grenze geknackt.

Przewieslik: Das bedeutet, daß der neue Flughafen, sollte er je ans Netz gehen, vom ersten Tag keine Wachstumsreserven besitzt, die ein Neubau prinzipiell besitzen sollte. Ideologie ging hier offensichtlich vor Pragmatismus, mit dem man die bestehenden Flughäfen Tempelhof, Tegel und Schönefeld im Verbund hätte nutzen können.

Trägt aber nicht auch der Bund, der neben Berlin und Brandenburg mit je 37 Prozent selbst mit 26 Prozent am BER-Projekt beteiligt ist, ebenso die Verantwortung für das eingetretene Fiasko?

Przewieslik: Der Bund hat sich zwar zu passiv verhalten, aber der Ausgangspunkt für das eingetretene Desaster ist beim Berliner Senat zu suchen. Der Erhalt von Tempelhof hätte auch dem BER geholfen. Gemeinsam hätte man sicher mehr Umsatz erreicht und den Luftraum entzerrt. Daher waren wir sehr enttäuscht, als sich Verbraucherministerin Ilse Aigner in Tempelhof vor Gemüsebottichen fotografieren ließ und erklärte, sie finde es ganz wunderbar, daß dort, wo früher Flugzeuge starteten und landeten, jetzt Radieschen gezogen würden. Auf unsere Nachfrage erklärte eine Referentin, daß man diese Aktivitäten „Urban Farming“ nennen würde.

Wowereit beklagte in Interviews, es werde zuwenig gesehen, was mit dem BER bislang auf den Weg gebracht worden sei.

Przewieslik: Angesichts zahlreicher Insolvenzen von Gewerbetreibenden, die Betriebsflächen im neuen Flughafen angemietet hatten und feststellen mußten, daß da nichts „auf den Weg gebracht“ worden ist, und der pleite gegangenen Handwerksbetriebe, die ebenfalls der Flughafengesellschaft vertraut haben, sind Wowereits Äußerungen nur als Verhöhnung der Betroffenen und der Öffentlichkeit zu werten. Es fing schon bei der Planfeststellung an, die den BER auf 360.000 Flugbewegungen und damit auf 27 Millionen Passagiere im Jahr deckelte, obwohl er technisch für etwa 100.000 Flugbewegungen mehr gut gewesen wäre. Es ging weiter mit der Bauausführung, die mit dem Begriff Chaos wohl nur unzureichend beschrieben ist. Man hatte 2003 das Angebot von Hochtief, den Flughafenbau zu einem Preis von vier Milliarden Euro zu errichten. Es wurde abgelehnt und großmäulig behauptet, es besser und billiger machen zu wollen. Seit diesem Zeitpunkt gab es keine industrielle Führung des Projekts mehr. Der Flughafenarchitekt Meinhard von Gerkan ist permanent mit zahlreichen, und zum Teil prinzipiellen Änderungswünschen konfrontiert worden.

Der Generalunternehmer Hochtief ist bei der Elbphilharmonie Hamburg auch nicht im Zeit- und Kostenrahmen geblieben. Inzwischen soll das hanseatische Prestigeprojekt über eine halbe Milliarde Euro kosten.

Przewieslik: Die BER-Kosten bewegen sich schon jetzt auf die Fünf-Milliarden-Euro-Marke zu, und inzwischen macht die Gesamtsumme von zirka zehn Milliarden Euro die Runde. Es wird sogar über einen Abriß des BER spekuliert, weil dort mutmaßlich nicht mehr viel zueinander paßt. Wowereit hat zu verantworten, daß – beginnend mit der fatalen Tempelhof-Schließung – das gesamte Flughafensystem Berlins massiv beeinträchtigt worden ist. Es wird hingenommen, daß Tegel zur Zeit um 600 Prozent überlastet wird – weil Luftverkehrskapazität in der Region Berlin-Brandenburg Mangelware ist.

Terminverschiebungen bei Großprojekten sind nicht unüblich. Was ist so besonders am Fall BER?

Przewieslik: Die Folgen sind bislang kaum abzusehen. Billige Berlin-Schelte wäre aber falsch, da viel zu viele zugeguckt haben. Finanziell wird der Marsch in die tiefroten Zahlen weitergehen und sich noch weiter beschleunigen. Alle drei Anteilseigner der Flughafengesellschaft werden erhebliche Nachschußpflichten zu leisten haben, die schwer auf den jeweiligen Haushalten lasten werden.

Berlin soll bereits einmal ein BER-Terminal gehabt haben? Was ist da dran?

Przewieslik: Ein befreundeter Pilot machte uns darauf aufmerksam, daß er in den siebziger Jahren oft mit seinen Eltern von Tempelhof aus geflogen war. Da die International Air Transport Association (IATA) die Flughafenkürzel bei einem Airport pro Stadt an den Ortsnamen anlehnt und Tempelhof, bis zur Eröffnung von Tegel (TXL) 1974 der einzige West-Berliner Verkehrsflughafen war, lautete das Kürzel BER. Das war der erste und einzig betriebsbereite BER. Der Kofferanhänger eines Berlin-Flugs aus dem Mai 1971 zeigt daher die Großbuchstaben BER. Er ziert den Titel unseres in dritter Auflage erschienenen Buches „Der Fall (von) Tempelhof – Wie Klaus Wowereit den Flughafen Tempelhof schloß und ihn zu einer Stadtbrache machte“. Der geschlossene Flughafen hat nach unseren Schätzungen bisher etwa 183 Millionen Euro an Berliner Landesmitteln verschlungen.

Beim Volksentscheid zu Tempelhof votierten 60,1 Prozent der Abstimmenden zwar für den Erhalt des Verkehrsflughafens, doch wegen der zu geringen Wahlbeteiligung konnte die Politik das Votum ignorieren.

Przewieslik: Leider mußte man 2008 eine Kampagne erleben, die dem seriösen Konzept eines Ergänzungsflughafens Klassenkampfparolen entgegensetzte. „Kein Flughafen für Superreiche“, das war da noch die geringste Entgleisung. Der damalige Berliner SPD-Fraktionschef Michael Müller und die Arbeiterwohlfahrt (AWO) gründeten das „Bündnis für ein flugfreies Tempelhof“. Die AWO meinte, daß Tempelhof aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit geschlossen werden müsse. Da zirka 80.000 Stimmen für das Quorum von 25 Prozent Ja-Stimmen der gesamten Wählerschaft fehlten, scheiterte der Volksentscheid. Der rot-rote Senat von 2006 bis 2011, der Tempelhof schloß, genoß jedoch nur eine Zustimmung von 44 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Klaus Wowereit soll bei der Vorstellung des Angebots zur Rettung Tempelhofs durch das Investorenduo Ronald S. Lauder und Fred Langhammer demonstrativ Däumchen gedreht und an den Anwesenden vorbei durchs Fenster geschaut haben.

Przewieslik: Da war nicht nur dieses skandalöse Schweigen. So fand der damalige SPD-Lsndeschef Michael Müller 2008 nichts dabei, Lauder und Langhammer als „reiche Onkels aus Amerika“ zu schmähen.

 

Wolfgang Przewieslik war Mitglied der Interessengemeinschaft City-Airport Tempelhof, die den Volksentscheid gegen die Schließung des Flughafens durchgesetzt hat. Er ist Vorsitzender des Vereins „Das Thema Tempelhof“.

www.das-thema-tempelhof.de

Wolfgang Przewieslik, Werner Röttger: Der Fall (von) Tempelhof. Shaker Media, Aachen 2012, broschiert, 302 Seiten, 24,90 Euro

 

Flughafen Berlin Brandenburg BER

Der erste Spatenstich für die größte Flughafenbaustelle Europas erfolgte am 5. September 2006. Am 30. Oktober 2011 sollte der südöstlich von Berlin gelegene Neubau mit dem Beinamen „Willy Brandt“ in Betrieb gehen und die Flughäfen Schönefeld und Tegel ersetzen. Doch am 25. Juni 2010 mußte der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), bekanntgeben, daß der Termin nicht zu halten sei. Erst am 3. Juni 2012 könne der BER-Betrieb starten. Im Mai 2012 wurde die nächste Verschiebung mitgeteilt: auf den 17. März 2013. Am 4. September 2012 folgte die dritte Verschiebung, nun auf den 27. Oktober 2013. Am 6. Januar 2013 war auch dieser Termin obsolet, seither gibt es kein konkretes Eröffnungsdatum mehr. Anfänglich wurde nur mangelnder Brandschutz für die Verzögerung genannt, inzwischen umfaßt die Mängelliste auch Verkabelung, Kühlung, Schließanlagen, Rolltreppen, Tankanlagen, die medizinische Versorgung und die Kommunikationstechnik.

Flughafen Berlin Brandenburg GmbH: www.berlin-airport.de

 

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