© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/13 / 25. Januar 2013

Rocksänger Hamlet
Tradition war gestern: Eine gewöhnungsbedürftige Inszenierung am Schauspielhaus Dresden
Uwe Ullrich

Altvertraut scheint uns zu jeder Zeit die Geschichte über Hamlet, den Dänen-Prinzen, die William Shakespeare vor vier Jahrhunderten geschrieben hat. Mord, Intrige und Staatsräson, die Frage nach Schuld und Sühne, sind Träger des dramatischen Spannungsbogens. Drei überlieferte Hamlet-Editionen – autorisierte Originale existieren nicht – bilden die Basis für die verschiedenen Fassungen, welche sich nicht nur in der Dramaturgie, sondern auch im Umfang und dem auftretenden Personal deutlich unterscheiden.

Mit wenigen Worten ist der Handlungsverlauf umrissen: Hamlets Vater starb überraschend im lebensprallen Agieren. Noch vor Ablauf der Trauerfrist offeriert Hamlets Mutter Gertrud Onkel Claudius, den Bruder des Verschiedenen, als neuen Ehemann und König von Dänemark. Der Geist des Toten legt dem Sohn nahe, er sei vom Bruder ermordet worden. Hamlet sinnt auf Rache.

Auf diesem Weg scheint ihm ein selbstgeschriebenes Theaterstück –Kunst als ein Mittel der Beschämung – gerade recht, um den Onkel mit der (vermeintlichen?) Schuld zu konfrontieren und hofft, daß sich der Täter aus Gewissensbissen offenbare. Heftig reagiert erwartungsgemäß der neue König. Von dessen Schuld ist Hamlet nun vollends überzeugt. Er soll des Todes sein. Doch irrtümlich ersticht der Verblendete Polonius, den Oberkämmerer. Dessen Tochter Ophelia, die der Prinz von Herzen liebt, versinkt im Wahnsinn und ertränkt sich. Ihr Bruder Laertes fordert den Schuldbeladenen zum Duell. In dessen irrealem Verlauf wird der gesamte dänische Hofstaat ausgelöscht.

Im modernen Gewand inszenierte Roger Vontobel nach der Dramaturgie von Robert Koall am Staatsschauspiel Dresden das Stück auf Grundlage der Übersetzung von August Wilhelm von Schlegel (1767–1845). Die Premiere fand im November vorigen Jahres statt. Wer eine Aufführung nach klassischer Art und Weise erwartet, kommt gewiß nicht auf seine Kosten. Tradition war gestern. Heute dominieren neue Sichtweisen und Wertungen.

Nein, die Randlogen gehören nicht ins Schauspielhaus. Bühnenbildnerin Claudia Rohner ließ sie für die Inszenierung anfertigen. Dort oben thronen Königin Gertrud (Hannelore Koch) und ihr Gemahl Claudius (Torsten Ranft). Gleichfalls erschienen ist der (personell ausgedünnte) dänische Hofstaat. Sie sind gekommen, um die durchreisende Schauspielgruppe zu sehen. Geboten wird ihnen ein Rockkonzert, dessen Frontmann der Prinz (Christian Friedel mit seiner eigenen Band Woods of Birnam) höchstselbst ist.

Gekleidet in edles Schwarz – für die Kostüme zeichnet Ellen Hofmann verantwortlich – tritt Hamlet, obwohl hohlwangig und verstört, betont vornehm auf. Das hindert ihn nicht, provokante Lieder – die Texte stammen von Shakespeare, aber nicht alle aus dem Stück – darzubieten und aufmüpfige Reden zu führen. Übergroße Porträts des vermeintlich ermordeten königlichen Vaters widersprechen den vorgetragenen Lobgesängen augenscheinlich. Offensichtlich ist die Mutter stolz auf den Sohn, der Stiefvater zeigt zurückhaltend Interesse, gibt sich zuweilen gelangweilt und läßt wenig Ärger erkennen. Obwohl er allen Grund dafür hätte!

Roger Vontobels Inszenierung trennt konsequent die spekulativen Sichtweisen von den realen politischen Gegebenheiten. Dem Regisseur eilt ja der Ruf voraus, ein „Stücke-zertrümmerer“ zu sein. Nach seinen Vorstellungen ordnete Vontobel reale und fiktive Handlungen und versucht mit heutigen Interpretationsmöglichkeiten die Grundkonflikte offenzulegen und auszudeuten. Seine Sympathie gehört Hamlet. Er läßt ihn scheitern, indem er die Untauglichkeit seiner Taten und die grenzenlose Ichbezogenheit bloßlegt.

Diese Dresdner Inszenierung ist bemerkenswert und für das nicht-jugendliche Publikum gewöhnungsbedürftig. Handreichung für den Weg des „modernen“ Verständnisses zwischen Wahn und Wirklichkeit der Hamlet-Problematik bietet der im Programmheft unter dem Titel „Transparenzgesellschaft“ abgedruckte Text des südkoreanischen Philosophen Byung-Chul Han. Darin beschreibt er, wie unsere heutige globale Gesellschaft versucht, alles Negative, Störende zu nivellieren und das reibungslose Funktionieren zum Maßstab des Lebensglückes zu machen. Salopp formuliert: Abgeschafft gehört umgehend, wer nicht normiert an der Welt teilnehmen will.

Hamlet schafft sich wirklich im Stück ab. Er spielt sich im wahrsten Sinn des Wortes zu Tode.

Die nächsten „Hamlet“-Vorstellungen am Schauspielhaus Dresden, Theaterstraße 2, finden statt am 25. Januar, 3., 19. und 22. Februar, 1. und 26. März sowie am 1. April. Telefon: 03 51 / 49 13–555

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