© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/13 / 25. Januar 2013

Mein Dorf hat sich verändert
Redakteure und ihre Heimat: Thorsten Brückner blickt auf seinen oberfränkischen Herkunftsort mit gemischten Gefühlen / JF-Serie, Teil 4
Thorsten Brückner

Ich bin ein Weltbürger, zu Hause dort, wo ich Arbeit, Freunde und eine nette Kirchgemeinde gefunden habe. So dachte ich zumindest bis zu meinem Umzug nach Berlin im Sommer des vergangenen Jahres. Nach einem halben Jahr in der Hauptstadt mit oft schnoddrigen, unhöflichen Menschen und ungenießbarem Essen, mit schlabbriger Currywurst ohne Darm als kulinarischem Tiefpunkt, ist die Sehnsucht nach einem gemütlich-unaufgeregten „Bassd scho“ jedoch ebenso gewachsen wie der Appetit auf „Drei im Weckla“.

Meine oberfränkische Heimat hat sich seit den Tagen meiner Kindheit verändert. Immer mehr Binnenmigranten ziehen aus anderen Teilen der Republik zu, zerstören Grundfesten der Dorfgemeinschaft, haben kein Verständnis mehr von örtlichen Traditionen und Gepflogenheiten und äußern sich dabei noch herablassend über die Alteingesessenen und deren heimeligen Dialekt. Das kleine Dorf im Landkreis Forchheim, wo ich aufwuchs, den Kindergarten und später die Grundschule besuchte, hat sein Gesicht verloren. Der Bauer, bei dem ich als kleines Kind die Milch holte, ist längst im Rentenalter. Der örtliche Laden mußte einem großen Discounter weichen, für den die schönen Grünflächen unweit des Dorfbaches einbetoniert wurden. Eine Milch, die noch nach traditioneller Art hergestellt wurde, sucht man hier vergebens.

In dem einstmals streng katholischen Dorf wird heute nur noch alle zwei Wochen Gottesdienst gefeiert. Ein Pfarrer muß sich in der fränkischen Provinz mittlerweile um mehrere, meist hoffnungslos überalterte Gemeinden kümmern. Die Jugendlichen am Ort haben die Sehnsucht nach Gott ebenso wie die Bewahrung von Traditionen dem Konsumrausch geopfert und feiern diesen Wertewandel regelmäßig bei ausgiebigen Saufgelagen auf den mittlerweile auch zur Nachtzeit unsicher gewordenen Dorfstraßen.

Einzig ein Ausflug in den nahe gelegenen Sebalder Reichswald erhellt das Bild und läßt Erinnerungen an unbeschwerte Kindheitstage wieder aufleuchten, als mich meine Großmutter auf unserem Holzschlitten über die schneebedeckten Waldwege zog. Der Geruch der Tannennadeln, das Trommeln des Spechts und die Gefahr vagabundierender Schwarzkittel hat sich hier seit den Tagen meiner Kindheit nicht verändert.

Die fränkische Lebensart ist erkennbar auf dem Rückzug, und doch gibt es Hoffnung: Heimat- und Trachtenvereine, Blaskapellen und Hobbybrauer finden auch unter einigen jungen Franken wieder Zulauf und lassen auf eine Weitergabe fränkischer Traditionen an künftige Generationen hoffen. Fristen diese dann auch, aus dem Dorfleben verschwunden, ein Dasein als folkloristische Randerscheinungen, können sie so doch in der Hoffnung auf eine spätere Rückbesinnung erhalten werden. Der fränkische Zungenschlag vieler Jugendlicher, den man auf den Straßen wieder vermehrt hören kann, ist ein weiteres Hoffnungszeichen.

Besser ist es da um die Eßkultur bestellt. Das fränkische „Nationalgericht“, das Schäuferle, findet sich auch heute noch auf jeder guten Speisekarte fränkischer Wirtshäuser. Kein Besucher sollte das Frankenland verlassen haben, ohne es nicht zumindest einmal gekostet zu haben. Auch für mich ist das Gericht der Höhepunkt eines jeden Heimatbesuchs – traditionell zubereitet an Mutters Herd.