© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/13 / 25. Januar 2013

Parteiensystem
Kosten des rechten Vakuums
André Freudenberg

Wenn konstatiert wird, daß es in Deutschland keine relevante Kraft im freiheitlich-konservativen Spektrum gibt – man blicke nur auf die Ergebnisse der Landtagswahl in Niedersachsen vom Sonntag –, dann bleibt die Analyse meist in Ursachenforschung stecken. Ein Nachdenken darüber, welche Folgen und Konsequenzen dies hat – für einzelne Bürger und für das Volk insgesamt – findet nicht in gebührendem Maße statt. Dies gilt auch für die sogenannte „Rechtspopulismusforschung“.

Stellt sich zunächst die Frage, ob es solche negativen Auswirkungen überhaupt gibt. Wer sich dem Thema oberflächlich nähert, könnte meinen, alles sei in Ordnung. Noch ist ja das Warenangebot üppig, noch läuft die Wirtschaft gut, noch ist die Arbeitslosigkeit gering. Vielen Bürgern reicht das anscheinend. Sie „mosern“ zwar, wie Günter Zehm es ausdrückt, „herum, schwanken von einer momentanen Gemütslage in die andere und wissen wenig mit ihrem (gerechten) Zorn anzufangen“. Man ärgert sich über die horrenden Zahlungen an Griechenland und über Diätenerhöhungen, führt aber letztlich eine unpolitische Existenz inmitten der „Spaßgesellschaft“.

Und doch wünscht sich eine nicht unbeträchtliche Minderheit eine neue politische Kraft herbei. Wenn man einer Umfrage von Emnid glaubt, dann sind es rund 20 Prozent, die sich vorstellen könnten, eine „Sarrazin-Partei“ zu wählen. Es gibt also für mehrere Millionen deutsche Wähler offenbar eine „Angebotslücke“ im Parteienspektrum. Für sie ist unter den bisherigen Voraussetzungen eine politische Partizipation an der Wahlurne nur in einem sehr unbefriedigenden Maße möglich. Sind sie doch gezwungen, entweder eine chancenreiche Partei zu wählen, die sie für das „kleinere Übel“ halten, oder aber für eine politische Kraft zu votieren, die zwar ihre Überzeugungen vertritt, jedoch chancenlos ist, sofern sie auf die Wahlteilnahme nicht gänzlich verzichten möchten. Doch viele tun genau letzteres: Die meisten Nichtwähler, so wird von Politologen immer wieder konstatiert, sind von der CDU enttäuschte Konservative, die schlicht nicht wissen, wem sie ihre Stimme geben sollen. Das wird bei der diesjährigen Bundestagswahl voraussichtlich nicht anders sein.

Aber auch von dem aktiven Engagement in Parteien ist ein Teil der Bürger faktisch ausgeschlossen. Zwar bestünde zumindest theoretisch für die meisten die Möglichkeit einer Mitgliedschaft in Union, FDP oder SPD. Nicht wenige sind diesen Weg auch gegangen, aber schließlich an einen Punkt gelangt, wo sie gespürt haben, daß die Widerstände oder die Ignoranz gegenüber ihren politischen Anliegen zu groß waren, um sie weiter innerparteilich verfolgen zu können. Sie verließen diese dann freiwillig, wurden herausgedrängt und in einigen Fällen sogar ausgeschlossen, und nun bleibt ihnen nichts anderes übrig, als politisch heimatlos „umherzuirren“. Die einen haben eine Neugründung versucht oder sich einer erfolglosen Splitterpartei beziehungsweise Bürgerbewegung angeschlossen, andere wiederum sich ganz aus der Politik zurückgezogen. Viele widmen sich nun verstärkt Familie und Beruf, um aus der Not eine Tugend zu machen. Neben den persönlichen Schicksalen nimmt auch die Demokratie Schaden, wenn Menschen auf ihr Wahlrecht oder auf aktive politische Beteiligung faktisch verzichten müssen.

Eng mit der fehlenden Partizipation hängt auch die unzureichende politische Repräsentation zusammen. In parlamentarischen Debatten wird dies dadurch sichtbar, daß meist die Gegenposition, der Widerspruch von rechts fehlt oder nur sehr zaghaft zu vernehmen ist. Kaum jemand bezieht im Plenum oder in Ausschußsitzungen des Bundestages dezidiert eine EU- oder zuwanderungskritische Position, vertritt bei geschichtspolitischen Auseinandersetzungen eine strikt antitotalitäre Haltung, distanziert sich klar vom „Kampf gegen Rechts“ oder mahnt den Vollzug richterlich beschlossener Abschiebungen konsequent an. Politische Reformen, wie sie etwa von Autoren wie Hans Herbert von Arnim (Wahlrecht), Josef Schüßlburner (Verfassungsschutz), Paul Kirchhof (Steuern) oder auch Thilo Sarrazin (Bildungspolitik und Zuwanderung) gefordert werden, bleiben auf der Ebene der Publizistik, der Netzöffentlichkeit oder in privaten Diskursen stecken und dringen nicht zur eigentlichen politischen Öffentlichkeit vor, weil sie bei keiner der etablierten Parteien mehrheitsfähig sind. Oder diese Positionen werden, wie Schüßlburner konstatiert, „heimlich und mehr beiläufig“ von den Gerichten wahrgenommen. Sogar die Versammlungsöffentlichkeit leidet. Zu Streitgesprächen und Podiumsdiskussionen bleiben Vertreter der etablierten Parteien meist unter sich. Wenn rechte Gruppierungen dann eigene Treffen durchführen, sind nicht selten linke Schlägertrupps rechtzeitig zur Stelle, mit der Folge, daß die jeweilige Veranstaltung nur noch halb-konspirativ unter Polizeischutz stattfinden kann oder ganz abgesagt werden muß.

Wenn keine freiheitlich-konservative Partei im Bundestag und in den Landtagen sitzt, dann fehlen natürlich auch die entsprechenden Ansprechpartner, also jene Abgeordnete, die sich nachhaltig und dezidiert für die Interessen „ihrer“ Klientel einsetzen. Dies betrifft SED-Opfer, Vertriebene, Enteignete der „Bodenreform“, Burschenschafter, aktive Lebensschützer, Kleinbauern, (frustrierte) Mittelständler sowie kinderreiche Familien, um nur einige zu nennen. Manch einer tröstet sich damit, daß es ja wenigstens noch ein paar Konservative in Union und FDP gibt. Das stimmt zwar, die Erfahrung hat aber gezeigt, daß diesen wenigen Abgeordneten die Loyalität gegenüber ihrer Partei und Fraktion und ihr eigenes politisches Fortkommen meist wichtiger sind als die Anliegen, die an sie herangetragen werden. Manche von ihnen glauben gar, Frau Merkel trotz ihres „Linkskurses“ vor zu angriffsfreudigen „Rechten“ in Schutz nehmen zu müssen. Eine wirksame Vertretung konservativer Anliegen ist von diesen Abgeordneten nicht zu erwarten.

Wenn es keine parteipolitische Repräsentation gibt, dann mangelt es auch an medialer Aufmerksamkeit. Gerade im Fernsehen bei den verschiedenen Polit­talk-Formaten werden Teilnehmer oft nach parteipolitischem Proporz ausgewählt. Der Diskutant, der für Union und FDP mit in der Runde sitzt, gehört nur selten dem jeweils rechten Parteiflügel an und wenn doch, dann wird er meist im eigenen Interesse eher defensiv und zurückhaltend argumentieren. Sonst wird er bei der nächsten Wahl möglicherweise nicht wieder aufgestellt – wie bei Norbert Geis (CSU) geschehen.

Die bisher angesprochenen Probleme in bezug auf das politische Personal, welches inaktiv oder seiner politischen Wirksamkeit beraubt ist, korrespondieren mit den Kosten, die in erster Linie die monetäre Seite betreffen. Bestrebungen seitens der politisch-medialen Klasse, eine erfolgreiche Partei rechts von Union und FDP zu verhindern, stellen zumindest indirekt auch eine finanzielle Diskriminierung der potentiellen (partei-)politischen Konkurrenz dar. Wenn man die Millionen von Euro betrachtet, die den etablierten Parteien – wohlgemerkt aus Steuermitteln – Jahr für Jahr allein für Wahlkämpfe zur Verfügung stehen, die natürlich auch von Konservativen mitbezahlt werden müssen, dann wird der Schaden deutlich, der ihnen dadurch entsteht, daß man das Geld für eigene Zwecke nicht zur Verfügung hat. Es fehlen dann jährlich allein rund zehn Millionen Euro für eine parteinahe Stiftung, die eine entsprechend ausgerichtete Bildungs- und Forschungsarbeit betreiben könnte.

Auch Hunderte von Arbeitsplätzen können somit natürlich nicht entstehen. Menschen, die das geistige Potential hätten, in einer solchen Einrichtung hauptberuflich tätig zu sein, sind gezwungen, in der freien Wirtschaft zu arbeiten und einer unpolitischen Tätigkeit nachzugehen, die ihnen zwar den Broterwerb sichert, ihre Fähigkeiten und Neigungen aber nur in begrenztem Maße zur Entfaltung zu bringen vermag. Die wenigen privat finanzierten konservativ ausgerichteten Institute, die es gibt, können nur sehr begrenzt Wirkung erzielen und müssen schließlich auch noch ohne staatliche Mittel auskommen. Auch wenn Geld nicht alles ist, muß nüchtern festgestellt werden: Viele ehrgeizige und solide Projekte scheitern schlichtweg genau daran.

Das entscheidende Problem ist aber der Umstand, in diesem Lande politisch nichts oder nur sehr wenig bewegen zu können. Mißstände werden von Konservativen zwar schärfer oder deutlicher wahrgenommen, man ist mehr immun gegenüber medialer Gehirnwäsche und steht der „Spaßgesellschaft“ kritischer gegenüber, spürt gleichzeitig jedoch die eigene politische Handlungsunfähigkeit, daß man selbst zu schwach ist, um Veränderungsdruck auslösen zu können. Das liegt schlichtweg daran, daß das wichtigste Instrumentarium fehlt, um Fehlentwicklungen korrigieren oder wenigstens abmildern zu können, nämlich eine eigene erfolgreiche Partei, die auf „Augenhöhe“ mit den anderen agieren kann. Verzweifelte Briefe an Abgeordnete und Mini-Demos vor dem Reichstag sind ehrenwert, bewirken aber nicht mehr als der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Die marginalisierte Minderheit in den Parteien der bürgerlichen Mitte ist ebenfalls viel zu schwach, um einen Kurswechsel herbeiführen zu können.

Beispiele aus anderen europäischen Ländern, wie Fehlentwicklungen mit einer neuen konservativen Kraft gestoppt werden konnten, sind Dänemark und die Niederlande. Die Dänen verlangen akademische Abschlüsse und Sprachnachweise von ihren Einwanderern, die Holländer wollen jenen, die sich innerhalb von drei Jahren nicht integrieren, die Aufenthaltserlaubnis entziehen. Auch in Deutschland gibt es auf regionaler Ebene einige Beispiele dafür; sie liegen allerdings in der Vergangenheit: So wurden vor zehn Jahren in Hamburg aufgrund der mitregierenden Schill-Partei aus konservativer Sicht Verbesserungen bei der inneren Sicherheit erreicht, all dies war jedoch bereits 2008 Makulatur, als die CDU eine Koalition mit der GAL einging und dem Druck von links nachgab.

Durch problematische und folgenreiche Entscheidungen wie zum Beispiel die Euro-Rettungspolitik, welche ohne entsprechende Intervention nicht oder nur halbherzig korrigiert werden, entstehen unserem Lande Kosten, die nicht mehr im Millionen-, sondern wahrscheinlich schon im dreistelligen Milliardenbereich angesiedelt sind. Verstärkt wird das ganze noch durch die europaweit ziemlich einzigartige Privilegierung von Parteien, die in erster Linie den Etablierten zugute kommt und deren Macht weiter verfestigt.

Manche Konservative wünschen sich jetzt eine verschärfte Krisensituation, da mittlerweile scheinbar nur noch auf diese Weise die Diskriminierung und Ausgrenzung der demokratischen Rechten reduziert oder gar beseitigt werden kann. Jene, die heute als „Rechtspopulisten“ diffamiert werden, sind dann vermutlich als gleichberechtigte politische Mitspieler akzeptiert und werden auch ihren gerechten Anteil am Geldkuchen bekommen. Erst dann kann auch in Deutschland von jener „demokratischen Normalität“ die Rede sein, wie sie in unseren Nachbarländern bereits heute Realität ist.

 

André Freudenberg, Jahrgang 1972, studierte Politikwissenschaft und Journalismus und ist nebenberuflich als Autor tätig. 2009 erschien sein Buch „Freiheitlich-konservative Kleinparteien im wiedervereinigten Deutschland“. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über die Strategie der CDU/CSU, Parteien rechts von ihnen zu verhindern („Merkels Monopol“,­­ JF 19/11).

Foto: Die Leerstelle: Im einseitig ausdifferenzierten Parteienspektrum der Bundesrepublik besteht für Millionen Deutsche eine Angebotslücke. Dieser Mangel hat empfindliche Folgen für uns alle.