© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/13 / 01. Februar 2013

Emir Kusturica. Der einstigen „Multikulti“-Filmikone wird Nationalismus vorgeworfen
Die schwarze Katze
Nikolaus Meerkatz

Wenn aus Paulus ein Saulus wird, dann empören sich die Engel. So wundert es nicht, daß das Entsetzen groß ist, seit der „weltweit gefeierte Multikulti-Zampano“ (Norddeutscher Rundfunk), das einstige Filmemacher-Wunderkind Emir Kusturica, nicht mehr das tut, was man vom ihm erwartet, sondern eigene, gar nationalistische Wege geht. Die Zeit etwa fragt sich inzwischen empört, warum so einer „überhaupt noch zu Filmfestivals eingeladen wird?“

Lange war er dort gerne gesehen, stand als europäischer Kulturfilmer in einer Reihe mit Aki Kaurismäki oder Lars von Trier, drehte mit US-Star Johnny Depp, wurde mit Preisen überhäuft: Goldenen Palmen in Cannes, Löwen in Venedig, einem Golden Globe in den USA und in Berlin dem Silbernen Bären. Seine Filme wie „Zeit der Zigeuner“, „Schwarze Katze, weißer Kater“ oder „Das Leben ist ein Wunder“ gelten als Lobgesang auf Multikulti und als Plädoyer gegen Nationalismus. Tatsächlich zauberte Kusturica süffige, bebende Bilderbögen des multiethnischen Lebens in seiner Heimat Bosnien, wahnwitzig skurril, heißblütig und mitreißend untermalt mit Zigeunermusik, die wie eine bewußtseinserweiternde Droge wirkte. Ein Blick zurück auf das fröhliche Miteinander der Völkerschaften Bosniens vor der Explosion von 1992, der in den Augen seines multikultitrunkenen Publikums im Westen ein Blick voraus war, eine naive, postnationale Verheißung.

Doch nun wagt es Kusturica, sich mit dem Vermögen aus den Eintrittsgeldern seines buntgesinnten Publikums einen ganz andersartigen Traum zu erfüllen: Im bosnischen Višegrad, wo sich die berühmte „Brücke über die Drina“ spannt, läßt er ein traditionelles serbisches Dorf nachbauen, als Ort idealen Serbentums. „Kustendorf“, wie Kusturica es getauft hat, soll 2013 fertig werden, hat jedoch einen Fehler: Es gibt dort keine Moslems, keine Moschee, kein Multikulti. Entsetzt zeigen sich nun seine ehemaligen Verehrer im Westen, die Kusturica „nationalistischen Größenwahn“ attestieren.

Allerdings mutet das Projekt in der Tat seltsam an, denn Višegrad war keine rein serbische Stadt, sondern bis zum Bürgerkrieg zu zwei Dritteln von Moslems bewohnt, bis viele von ihnen unter Massakern vertrieben wurden. Tatsächlich zeigte sich Kusturica, anders als in seinen Filmen, im Leben nie sonderlich emphatisch gegenüber den anderen Völkern Bosniens. Im Krieg hielt er klar zu Serbien, ging nicht nach Sarajevo, wo er 1953 geboren wurde, sondern nach Belgrad. 2005 ließ er sich orthodox taufen, nahm den serbischen Vornamen Nemanja an.

Kusturica erklärt Kustendorf heute so: Er wolle ein Beispiel geben, was authentische serbische Architektur ist, wolle zeigen, daß die Welt bunter und reicher sei als das, was Hollywood präsentiere, und daß die westliche Wertegemeinschaft nun einmal nicht die einzige Option für den Rest der Welt sein könne.

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