© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/13 / 01. Februar 2013

„Die Jungen verlieren die Geduld“
Chile: Mit Anschlägen gegen Siedler versuchen Teile der indigenen Mapuche-Minderheit auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen
Michael Ludwig

Chile gilt als eines der stabilsten Länder der südlichen Hemisphäre – das Wirtschaftswachstum betrug im abgelaufenen Jahr respektable fünf Prozent, die Arbeitslosenquote belief sich auf lediglich 6,2 Prozent. Dennoch schwelt unter der Oberfläche des mit preußischer Disziplin geführten Staatsapparates ein Konflikt, der in den letzten Wochen einen neuen, blutigen Höhepunkt erreicht hat.

Nach Angaben der chilenischen Behörden überfielen in der Nähe der Stadt Vilcun, rund 680 Kilometer südlich von Santiago, etwa 20 Vermummte die Farm des aus der Schweiz stammenden Werner Luchsinger und setzten sie in Brand. Der 75jährige und seine 69 Jahre alte Ehefrau kamen dabei ums Leben. Der Verdacht fiel sofort auf militante Mapuche-Indios, die Ureinwohnern des Landes. Daß die Täter in diesem Umfeld zu suchen sind, bestätigten sich, als im Zuge einer Fahndung zwei Verdächtige dieser Ethnie festgenommen wurden.

Es ist nicht das erste Mal, daß Farmen von europäischstämmigen Siedlern in der Provinz Araucania eingeäschert werden, neu ist aber, daß diesmal Todesopfer zu beklagen waren. Die Radikalisierung des Konflikts geht vor allem auf junge, unzufriedene Mapuche zurück. Besonnene Indios, wie der „Lonko“ – hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich der politische und spirituelle Führer einer Mapuche-Gemeinschaft – Juan Catrillanca (62), scheinen an Boden zu verlieren: „Ich übe dieses Amt seit 16 Jahren aus, und die Dinge werden mit jedem Mal schwieriger. Die Jungen verlieren mit den chilenischen Behörden die Geduld. Viele wollen zur direkten Aktion übergehen, was nichts anderes bedeutet, als daß sie Krieg wollen.“

Seit dem Tod des Ehepaares ist es in der Region keineswegs ruhiger geworden. Die Behörden verzeichneten seither fünf neue Übergriffe auf Siedler. Nach Angaben der chilenischen Tageszeitung La Tercera hat sich die Zahl der Brandstiftungen zwischen 2009 und 2012 um 76 Prozent erhöht. Aber auch in der Hauptstadt Santiago gehen Mapuches auf die Straße, um für ihr Anliegen (Entschädigungen, Autonomie und Selbstbestimmung) zu demonstrieren. Im Zentrum kam es zu teilweise gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Die Regierung will nun offensichtlich mit einer Doppelstrategie die explosive Lage unter einem Teil der knapp eine Million Mapuche unter Kontrolle bringen. Sie kündigte an, das aus Zeiten der autoritären Pinochet-Herrschaft stammende Antiterrorgesetz anzuwenden, das hohe Strafen vorsieht, will aber auch versuchen, den Konflikt mit friedlichen Mitteln beizulegen. So haben sich kürzlich Vertreter der Indio-Organisation „Asociacion Indigena del Encuentro Nacional Mapuche“ (Enama), der staatlichen Behörden und der katholischen Kirche zu einem Dialog getroffen, um die Möglichkeiten einer für beide Seiten akzeptablen Lösung auszuloten.

Ob das so schnell gelingen wird, ist allerdings fraglich. Gilt es doch, eine Entwicklung aufzuarbeiten, die vor etwa 150 Jahren ihren Anfang genommen hat. Damals wurde das Siedlungsgebiet der Mapuches, das bis dahin als unabhängig galt, gewaltsam an Chile angegliedert. Die Ureinwohner mußten sich in Reservate zurückziehen, die keine gedeihliche Entwicklung zuließen. Die Folge waren Verarmung, Kriminalität und jahrelange, sporadisch aufflammende Konflikte mit den Neuansiedlern, von denen viele aus Deutschland stammen.

http://de.dcb.cl

http://de.mapuches.org

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